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Talente 2_2020 Titelgrafik / Grafik: WRS
An der Universität Stuttgart hat das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) seit Langem einen hohen Stellenwert. Bereits im zehnten Jahr bietet die Hochschule ihren 5300 Beschäftigten vielfältige Aktivitäten an, um sie zu gesundheitsbewusstem Verhalten zu motivieren. Seit einiger Zeit gehören auch Maßnahmen zur Stärkung der inneren Widerstandsfähigkeit dazu. Unter anderem soll Achtsamkeitstraining den Mitarbeitern dabei helfen, psychischen Belastungen am Arbeitsplatz besser zu begegnen und ihre Resilienz zu fördern.
Pauline Vogel ist seit 2012 für die Gesundheitsthemen der Hochschule verantwortlich. Seit letztem Jahr gehört sie gemeinsam mit einer Kollegin zur neu eingerichteten Stabsstelle „Betriebliches Gesundheitsmanagement und Arbeitsmedizinischer Dienst“. Seither berichtet sie direkt an den Kanzler der Universität und schätzt die bessere Sichtbarkeit ihres Themas und die kurzen Wege zur obersten Entscheidungsebene. Der Personal- und Finanzchef sieht die Gesundheitsförderung als wichtigen Teil der Hochschulkultur an. Ausgewählte Themen werden deshalb auch direkt von ihm kommuniziert. Beispielsweise während der Corona-Krise, als er alle Beschäftigten persönlich zur Teilnahme an einer täglichen Bewegungschallenge motiviert.
Ganzheitliche Gesundheitsförderung mit Auszeichnung

Talente 2_2020_Seite_1: Gut und gesund arbeiten dank Resilienz / Foto: Universität Stuttgart
Die Gesundheitsförderung der Stuttgarter Universität beinhaltet feste Angebote, wie beispielsweise Wiedereingliederungsgespräche oder die Mitarbeiter-, Führungskräfte- und Teamberatung (MFT), über die die Beschäftigten sich in Krisen oder Konflikten durch externe Experten unterstützen lassen können. Dazu kommen jährliche Schwerpunktthemen, zu denen ganze Maßnahmenpakete geschnürt werden, und eine Vielfalt an Präventivangeboten, die auch neue Trends und Methoden aufgreifen. Das Programm wurde 2018 zum zweiten Mal mit dem Corporate Health Award prämiert.
Seit einiger Zeit bietet die Hochschule auch spezielle Angebote zur mentalen Fitness an. Pauline Vogel weiß aus vielen Einzel- und Teamberatungen, dass die psychische Belastungsfähigkeit unter anderem bei Konflikten und Krisen eine zentrale Rolle spielt. Zusätzlich motiviert durch ihre persönliche Erfahrung, gibt die Gesundheitsmanagerin 2018 „Achtsamkeit am Arbeitsplatz“ als Themenschwerpunkt vor und plant ein Konzept mit mehreren Bausteinen dazu. Zum Auftaktvortrag einer externen Expertin, die in das Thema Achtsamkeit einführt, werden zunächst die Beschäftigten der Universitätsverwaltung eingeladen.
Pauline Vogel, Stabsstelle BGM-AMD Universität Stuttgart / Foto: Universität Stuttgart
Achtsamkeit wirkt wie ein Fitnessstudio auf den Geist und hilft den Beschäftigten, ihre Resilienz zu trainieren. Indem sie sich ihre positiven Ressourcen bewusst machen und diese gezielt einsetzen, können die Mitarbeiter*innen sich beispielsweise besser konzentrieren und auch mit Konflikten und Herausforderungen im Arbeitsalltag besser umgehen. Davon profitieren wir als Arbeitgeber, vor allem ist Achtsamkeit aber insgesamt sehr förderlich für die eigene Gesundheit.
Außerdem stellen die Vertreter des Hochschulsports und der internen Fort- und Weiterbildung Maßnahmen aus ihren Programmen vor, die bereits Aspekte der Achtsamkeit beinhalten. Der nächste Schritt besteht in einem Präsenztraining über zehn Wochen, in dem 18 Teilnehmer jede Woche eine Stunde lang Achtsamkeitspraktiken einüben. Dieses Angebot ist in kurzer Zeit ausgebucht. Pauline Vogel entscheidet sich deshalb, einen virtuellen Achtsamkeitskurs zum Selbststudium anzubieten, der die Vorteile der Methode für die gesamte Belegschaft der Verwaltung zugänglich macht.
Virtuelles Training zur Achtsamkeit setzt auf Selbstverantwortung der Beschäftigten
Gemeinsam mit der externen Trainerin konzipiert sie ein Onlineangebot, das interessierten Beschäftigten einmal wöchentlich über zehn Wochen hinweg per E-Mail die wichtigsten Achtsamkeitsmethoden vorstellt. Mit passenden Audiodateien werden diese zusätzlich zu praktischen Meditations-, Körperwahrnehmungs- und Bewusstseinsübungen motiviert. Fast 900 Beschäftigte tragen sich bereits in den ersten drei Durchgängen für das Angebot ein. Die Kursteilnehmer können ganz flexibel entscheiden, wann sie die Methoden trainieren. Um die Achtsamkeitspraxis nachhaltig im Arbeitsalltag zu verankern, gibt es anschließend monatliche Impulse per E-Mail, teilweise ergänzt um Links zu passenden Youtube-Videos.
Mit der Unterstützung des Kanzlers entwickeln Pauline Vogel und ihre Kollegin das Angebot an gesundheitsfördernden Maßnahmen systematisch weiter und haben 2019 damit begonnen, die strategische Ausrichtung ihres Themas grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Der Strategieprozess wird von einer Krankenkasse begleitet und finanziell gefördert. „Durch die Kooperation mit der Kasse konnten wir beispielsweise eine externe Prozessberaterin beauftragen, deren Außensicht und vielfältige Branchenerfahrung sehr hilfreich sind“, betont die Gesundheitsmanagerin.
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Talente 2_2020 Titelgrafik / Grafik: WRS
Arbeitskräfte im Gesundheitsbereich sind oft besonders hohen Belastungen ausgesetzt. Das GPR Gesundheits- und Pflegezentrum Rüsselsheim hat deshalb spezifische Angebote entwickelt, um seine Beschäftigten für ihren Arbeitsalltag zu stärken. Seit 2015 werden unter anderem alle leitenden Mitarbeiter darin geschult, mit ihren persönlichen Ressourcen besser umzugehen, und durch vorbildliches Verhalten und gute Führung die Resilienz der gesamten Belegschaft zu fördern.
Die Rüsselsheimer Einrichtung besteht aus dem GPR Klinikum, der Seniorenresidenz »Haus am Ostpark« und einem ambulanten Pflegeteam. Zur GPR Gruppe gehören außerdem ein medizinisches Versorgungszentrum sowie die GPR Service GmbH, die beispielsweise Reinigungsleistungen bereitstellt. Insgesamt arbeiten in dem Zentrum knapp 1800 Menschen im Dienste der Gesundheit. Mit einer umfassenden betrieblichen Gesundheitsförderung will die GPR-Geschäftsleitung dazu beitragen, dass diese ihre Arbeit gut und motiviert bewältigen können und dabei auch selbst gesund bleiben.
Gesunde Arbeitskultur als Magnet für qualifizierte Beschäftigte
Die BGM-Verantwortliche Petra Oswald wurde dazu direkt dem Geschäftsführer Achim Neyer unterstellt. Sie kümmert sich ausschließlich um wichtige soziale Fragen und die Gesundheit der Belegschaft. Als Beauftragte der Geschäftsführung stimmt sie zudem die strategische Weiterentwicklung der Gesundheitsförderung regelmäßig im Lenkungsausschuss Gesundheit mit dem Betriebsrat, dem Betriebsarzt und der Fachkraft für Arbeitssicherheit ab. Dadurch will das GPR als „Magnetklinik“ auch für neue Fachkräfte noch attraktiver werden.
2014 weisen Rückmeldungen aus einer Mitarbeiterbefragung darauf hin, dass die Führungs- und Arbeitskultur in manchen Teams als Stressfaktor wahrgenommen wird. Gleichzeitig sind die Fehlzeiten relativ hoch. Die Verantwortlichen beschließen deshalb, spezielle Maßnahmen zur Stärkung der psychischen Gesundheit anzubieten. Zielgruppe sind zunächst die Führungskräfte. Sie sollen systematisch darin unterstützt werden, mit eigenen Belastungen besser umzugehen und gleichzeitig Instrumente an die Hand bekommen, um die Resilienz ihrer Mitarbeiter zu fördern.
Katharina Maehrlein,
Resilient. Achtsam. Agil.
Beraterin, Trainerin und Coach / Foto: T. W. KleinIn unserer VUCA-Welt hat der Druck auf die Beschäftigten aller Branchen enorm zugenommen. Situationen wie die aktuelle Corona-Krise wirken als zusätzliche Brandbeschleuniger. Oft sind gerade die Führungskräfte besonders belastet, gleichzeitig haben diese wiederum selbst sehr großen Einfluss auf eine gesunde Unternehmenskultur.
Resilienzförderung als Chefsache
Als gelernte Krankenschwester und langjährige Pflegedienstleiterin weiß Petra Oswald aus eigener Erfahrung, wie herausfordernd die Arbeit in ihrer Branche sein kann. Sie beschließt, die Resilienztrainerin Katharina Maehrlein in die Umsetzung einzubinden. „Wir waren uns von Beginn an darin einig, dass Selbstwirksamkeit und Selbstverantwortung Schlüsselfaktoren für die psychische Widerstandskraft sind“, betont sie. Ein wichtiges Ziel ist deshalb, die Führungskräfte zur Selbstreflexion anzuregen und ihnen dadurch auch ihre Rolle als Vorbilder bewusst zu machen. Gleichzeitig sollen ihnen Ideen vermittelt werden, wie sie mit sich und ihren Mitarbeitern achtsamer umgehen können.
Die beiden Gesundheitsexpertinnen rechnen damit, dass eine Schulung zur psychischen Belastungsfähigkeit und Resilienz auf Vorurteile und Widerstände trifft. Sie verzichten deshalb auf diese Begriffe und nennen das Seminar „Gesund führen“. In der Beschreibung weisen sie zudem darauf hin, dass die Inhalte auch im Privatleben nützlich sind. Um die Wichtigkeit zu verdeutlichen und möglichst schnell die gesamte Führungsebene zu involvieren, legen sie das Angebot als Pflichtveranstaltung an. Der Geschäftsführer lädt jede Führungskraft mit einem persönlichen Brief zur Schulung ein und macht so unmissverständlich klar, wie bedeutsam das Thema für ihn ist.
Katharina Maehrlein stellt einen umfangreichen Resilienztest an den Beginn ihres ganztägigen Workshops. „Auf diese Weise gewinnen die Führungskräfte schnell einen Überblick, welche Aspekte zur psychischen Widerstandsfähigkeit beitragen“, erläutert sie. Gleichzeitig wird deutlich, bei welchen Themen sie besonders gut aufgestellt sind und wo es Entwicklungsbedarf gibt. Die knapp 80 Teilnehmer bekommen außerdem Hilfestellung, wie sie sich und ihre Mitarbeiter in den verschiedenen Punkten weiterentwickeln können. Um den Transfer in ihren Arbeitsalltag zu unterstützen, definieren sie ein individuelles Handlungsziel, mit dem sie nach dem Seminar weiterarbeiten werden. Bei Bedarf können sie dazu auch Einzelcoaching in Anspruch nehmen.
Petra Oswald, BGM / Arbeitsschutzkoordination, GPR Gesundheits- und Pflegezentrum Rüsselsheim gGmbH / Foto: GPR Gesundheits- und Pflegezentrum Rüsselsheim gGmbH
Um die Resilienz zu fördern, ist es wichtig, herauszuarbeiten, was im Einflussbereich der Führungskräfte liegt. Sie müssen erkennen, dass sie mit bewusstem Handeln sehr viel für sich selbst tun und gleichzeitig maßgeblich zur Leistungs- und Belastungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter beitragen können.
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Prof. Dr. Jutta Heller,
Resilienz für Unternehmen,
Trainerin, Beraterin und Coach / Foto: Ingo Förtsch
Professor Dr. Jutta Heller beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren damit, wie Menschen ihre mentalen Ressourcen ausschöpfen können. Die Resilienz-Expertin unterstützt Firmen und ihre Belegschaften darin, möglichst flexibel mit ungewissen Situationen umzugehen und gleichzeitig eine grundlegende Stabilität zu bewahren. In Zeiten von Corona ist ihre Expertise besonders gefragt. Wir haben mit ihr darüber gesprochen, was in einer Krisensituation dabei helfen kann, trotz der damit verbundenen Ängste und Sorgen, ins Handeln zu kommen.
WRS: Frau Prof. Dr. Heller, in Zeiten wie diesen gilt Resilienz als wichtige Zukunftskompetenz. Wie erklären Sie Unternehmen, die sich dafür interessieren, was es damit auf sich hat?
Prof. Dr. Jutta Heller: Resilienz hat mehrere Ebenen. Für das Individuum bedeutet sie, innere Prozesse so steuern zu können, dass es möglich wird, in der Außenwelt situationselastisch, also flexibel und der Situation angemessen, zu reagieren. In einer Krise heißt das zum Beispiel, sich nicht auf negative Gefühle zu fokussieren, sondern die Aufmerksamkeit gezielt darauf zu richten, was einen stärkt und stützt. Es geht darum, auch wenn man Angst und Unsicherheit empfindet, notwendige Schritte zu machen. Organisationale Resilienz wiederum beschreibt die Fähigkeit eines Unternehmens, negative Einflüsse abzufedern und sich auch an kritische Veränderungen möglichst schnell und flexibel anzupassen. Kurz gesagt ist Resilienz also eine Strategie, um mit schwierigen Situationen erfolgreich umzugehen.
Ist Resilienz auch für kleinere und mittelständische Firmen (KMU) interessant?
Unabhängig von der Betriebsgröße tun sich die Menschen schwer, mit bedrohlichen Ereignissen und Unsicherheit angemessen umzugehen, wenn sie sich zu sehr auf ihre Ängste und Sorgen konzentrieren. Um eine Krise, wie die gegenwärtige Pandemie, gut zu überstehen, muss man aktuelle Erfahrungen frühzeitig reflektieren und einordnen. Nur so ist es anschließend möglich, angemessen und flexibel darauf zu reagieren. Dafür braucht jedes Unternehmen resiliente Führungskräfte und Mitarbeiter, die innerlich stabil und handlungsfähig sind.

Talente 2_2020: Gut und gesund arbeiten dank Resilienz / Foto: Andrey Popov – stock.adobe.com
In Fachkreisen wird auch darüber diskutiert, wie sich die Widerstandskraft ganzer Teams beeinflussen lässt. Welche Ebene sollten Firmen in den Mittelpunkt stellen, die neu in das Thema einsteigen wollen?
Meine Haltung ist hier eindeutig: Startet mit dem Individuum. Ich habe sowohl Projekte zur individuellen Resilienz realisiert als auch Konzepte, bei denen größere Einheiten oder die gesamte Organisation im Blickfeld standen. Im zweiten Fall haben die Mitarbeiter oft das Gefühl, dass sie schon wieder gute Ideen entwickeln sollen, wie sich das Unternehmen in einer Veränderungssituation bestmöglich aufstellen kann. Sie fragen dann: Was ist eigentlich mit uns? Ich empfehle deshalb, auf individueller Ebene zu starten, am besten mit den Führungskräften, gegebenenfalls gleichzeitig mit den Mitarbeitern.
In einem zweiten Schritt kann es dann darum gehen, was die Teams brauchen, um situationselastisch reagieren zu können. Erst danach ist es sinnvoll, Strukturen und Prozesse zu hinterfragen, um die Organisation als Ganzes krisenfester zu machen.
Was könnte ganz praktisch ein erster Schritt sein, um die Resilienz in kleineren Betrieben zu stärken?
Ein Unternehmen könnte damit starten, dass sich zunächst die Leitungsebene mithilfe von Büchern oder Webinaren in das Thema einarbeitet. Auch ohne umfassende Resilienzschulung kann eine Führungskraft stärkende Rituale einsetzen, um die Aufmerksamkeit ihrer Mitarbeiter auf vorhandene Ressourcen zu lenken. Beispielsweise kann eine Teambesprechung mit der Frage beginnen: „Was lief letzte Woche besonders gut?“
Als Kickoff für die gesamte Belegschaft bietet sich ein Vortrag oder ein Workshop zur Resilienz an. Die oberste Führung könnte hier miteinbezogen werden, indem sie beispielsweise über eigene Erfahrungen mit Belastungssituationen berichtet.
In die praktische Umsetzung steige ich häufig mit einer Bestandsaufnahme ein, bei der sich die Teilnehmer hinsichtlich zentraler Resilienzfaktoren selbst einschätzen können. Zu allen Aspekten gibt es konkrete Interventionen, mit denen man die persönliche Entwicklung der Menschen unterstützen kann. Hilfreich ist auch ein Blick auf die eigene Biografie, denn jeder hat bereits Krisen gemeistert und kann daraus lernen.

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Wer sollte miteinbezogen werden, um Resilienz nachhaltig im Unternehmen zu verankern?
Bei mittelständischen Firmen wird Resilienzförderung am besten bei der Personalentwicklung angesiedelt, denn unter diesem Blickwinkel sind die Geschäftsführer am ehesten bereit, das Thema strategisch zu verankern. Wird ein ganzer Prozess aufgesetzt, braucht es neben der Personalabteilung auch die Führungsebene, den Betriebsrat, das Betriebliche Gesundheitsmanagement und gegebenenfalls andere interne Meinungsmacher. Eine Ergänzung wäre, Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen zu internen Resilienzberatern auszubilden. Diese können dann als Multiplikatoren wirken und Resilienz nachhaltig im Unternehmen verankern.
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Talente 2_2020 Titelgrafik / Grafik: WRS
Die Fähigkeit, mit Drucksituationen oder unerwarteten Ereignissen konstruktiv umzugehen, wird im Arbeitsleben immer wichtiger. Es braucht innere Stabilität, um den Anforderungen in unserer VUCA– Welt gerecht zu werden und in akuten Krisen wie der Corona-Pandemie die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die gute Nachricht ist: Psychische Widerstandskraft lässt sich trainieren. Mit speziellen Angeboten können Arbeitgeber die Resilienz ihrer Belegschaften stärken und so auch als ganze Organisation krisenfester werden.
Laut des Stressforschers Aaron Antonovsky gelten Personen als resilient, wenn sie die Ereignisse in ihrem Leben als nachvollziehbar und sinnhaft erleben und daran glauben, Probleme mit eigenen Kräften – also selbstwirksam – bewältigen zu können. Die Psychologie spricht von innerer Widerstandsfähigkeit der Menschen und meint damit die individuelle Resilienz. Der Begriff kann aber auch auf Gruppen und Teams oder ganze Unternehmen (organisationale Resilienz) angewandt werden. Im Kern geht es immer darum, in unerwarteten oder schwierigen Situationen zuversichtlich und handlungsfähig zu bleiben, um die jeweiligen Herausforderungen gut zu bewältigen. In der heutigen Zeit beeinflusst diese Kompetenz maßgeblich die Zukunftsfähigkeit und den Erfolg eines Unternehmens.
Ständige Veränderungen und Krisen führen zu psychischen Belastungen

Talente 2_2020: Gut und gesund arbeiten dank Resilienz / Foto: verctorfusionart – stock. adobe.com
Es sind nicht nur dramatische Katastrophen und persönliche Tragödien, die die Widerstandskraft von Menschen und Organisationen herausfordern. Auch im gewöhnlichen Arbeitsalltag sind die Belastungen gewachsen. Tiefgreifende Transformationsprozesse fordern neue fachliche Kompetenzen und die Fähigkeit, sich permanent an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Durch die Errungenschaften der Digitalisierung müssen sich Arbeitnehmer in agilen Teams oder im Homeoffice zunehmend selbst organisieren und gleichzeitig ihr Privatleben vor drohendem digitalen Stress verteidigen. Akute Krisen wie die gegenwärtige Corona-Pandemie beschleunigen diese Prozesse und verursachen zusätzlich existenzielle Ängste und Probleme. Dass solche Dauerbelastungen die innere Stabilität der Menschen gefährden und dadurch auch ihre Leistungsfähigkeit schwächen, belegen die Gesundheitsberichte der Krankenkassen. Sie weisen psychische Belastungen als eine der häufigsten Ursachen für Fehlzeiten aus.
Resiliente Mitarbeiter sind gesünder, motivierter und leistungsfähiger
Gerade in Krisen oder Umbruchzeiten gehören jedoch gesunde und engagierte Belegschaften zu den wichtigsten Ressourcen der Betriebe. Die Personalentwicklung und das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) haben deshalb gute Argumente auf ihrer Seite, wenn sie ihre Führungsetagen vom Nutzen präventiver resilienzfördernder Maßnahmen überzeugen wollen. Denn resiliente Mitarbeiter sind nicht nur seltener krank, sondern darüber hinaus sehr viel motivierter und leistungsfähiger. Sie lassen sich in schwierigen Situationen nicht von ihren negativen Gefühlen steuern und können so angemessen und erfolgreich handeln.
Resilienz kann man lernen

Toolbox für individuelle Resilienz bei der Arbeit, Talente 2_2020 / Grafik: WRS
Manche Menschen kommen allein aufgrund ihrer Konstitution besser mit Belastungssituationen zurecht als andere – trotzdem ist Resilienz keine unveränderliche Charaktereigenschaft. Sie resultiert vielmehr aus einem ganzen Bündel an individuellen Kompetenzen, die sich gezielt trainieren lassen. Was alles dazu zählt, ist von der Wissenschaft nicht einheitlich definiert. Experten nennen unter anderem Akzeptanz, Optimismus, Selbstwirksamkeit, Eigenverantwortung und Netzwerkorientierung als wichtige Fähigkeiten. Resiliente Menschen können beispielsweise in einer schwierigen Lage nicht beeinflussbare Faktoren leichter akzeptieren, ihre Energie schneller darauf richten, was sich wirklich gestalten lässt und so ins Handeln kommen. Auch die Fähigkeit, sich mit anderen zu vernetzen, ist ein wichtiger Schlüssel zur Resilienz. Wer in turbulenten Zeiten auf stärkende Beziehungen zurückgreifen kann, gewinnt an Sicherheit und trifft durch den Austausch mit anderen bessere Entscheidungen. Sich in den verschiedenen Resilienzfaktoren weiterzuentwickeln setzt voraus, das eigene Denken, Fühlen und Handeln bewusst wahrzunehmen. Dafür bieten sich zum Beispiel Methoden aus der Achtsamkeitspraxis an.
Psychische Gefährdungsbeurteilung liefert wertvolle Anhaltspunkte
Bevor HR-Experten oder BGM-Verantwortliche jedoch über die Stärkung der einzelnen Kompetenzen nachdenken, sollten sie zunächst die betriebsinternen Belastungsfaktoren erheben. Denn die Rahmenbedingungen in Betrieben spielen für die psychische Gesundheit der Beschäftigten eine maßgebliche Rolle. Wichtige Anhaltspunkte und auch methodische Hilfestellung kann hier die vom Gesetzgeber vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen (GBpsych) liefern. Ursachen für Druck- und Stresssituationen sind beispielsweise in der Arbeitsaufgabe, der Arbeitsorganisation, den sozialen Beziehungen oder der Arbeitsumgebung zu finden. Die Gefährdungsbeurteilung identifiziert diesbezüglich Schwachstellen im Unternehmen und zeigt Handlungsfelder auf.

Talente 2_2020: Gut und gesund arbeiten dank Resilienz / Foto: Zacarias da Mata – stock.adobe.com
Mit angepassten Rahmenbedingungen und durchdachten Schulungs- und Coachingkonzepten können die HR- und BGM-Abteilungen in den Betrieben demzufolge sehr viel für die mentale Stabilität der Mitarbeiter tun. Dass besonders die Führungskräfte einen sehr großen Einfluss auf die psychische Gesundheit der Mitarbeiter haben, ist bei Fachleuten aller Disziplinen unbestritten. Viele Ansätze zur Resilienzförderung richten sich deshalb gezielt an die Leitungsebenen, mit dem Ziel, dass sich so langfristig positive Effekte für die gesamte Belegschaft ergeben.
Krankenkassen fördern Resilienzmaßnahmen
Um die eigenen Ressourcen zu schonen und zugleich den Blick über den Firmen-Tellerrand zu wagen, ist es oft sinnvoll, sich bei der Entwicklung von Resilienzstrategien von spezialisierten Dienstleistern unterstützen zu lassen. Ihre Expertise, aber auch konkrete Maßnahmen zur Resilienzförderung lassen sich in vielen Fällen durch Kooperationen mit den Krankenkassen finanzieren. So können auch Betriebe die inneren Widerstandskräfte ihrer Belegschaften stärken, die beschränkte finanzielle Mittel und keine eigenen Mitarbeiter für die betriebliche Gesundheitsförderung zur Verfügung haben.
Innere Widerstandsfähigkeit nachhaltig stärken

Talente 2_2020: Gut und gesund arbeiten dank Resilienz / Bild: styf – stock.adobe.com
Unabhängig davon, ob die Verantwortlichen ihre Konzepte selbst entwickeln oder erfahrene Experten einbinden, sind die gewünschten Erfolge allerdings nicht von heute auf morgen zu erzielen. Um die psychische Widerstandskraft von Menschen nachhaltig zu stärken, braucht es Geduld und die Bereitschaft, immer wieder neue Impulse zu setzen. Außerdem sollte die Führungsetage auch damit leben können, dass die Mitarbeiter zukünftig andere Verhaltensweisen zeigen und beispielsweise öfters Nein sagen, wenn sie ihre Belastungsgrenzen erreicht haben. Die Resilienz seiner Belegschaft zu fördern, bedeutet für einen Betrieb letztendlich, eine neue Haltung zu Problemen und Herausforderungen zu entwickeln und somit die gesamte Unternehmenskultur zu verändern.
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Bild: Andrey Popov – stock.adobe.com
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Talente 1/2020 Titelgrafik, Grafik: WRS
Inmitten der digitalen Transformation stellt der Motorsägenhersteller Stihl unter dem Leitmotto „Miteinander füreinander“ ganz bewusst den Menschen ins Zentrum eines neuen kreativen Lernkonzepts. Beim Waiblinger Unternehmen lernen die Mitarbeiter, indem sie ihren Lernprozess aktiv mitgestalten und ihre ganz persönlichen Einstellungen, Erfahrungen und Lernziele einbringen. Als Ergebnis ihres Erfahrungslernens entstehen – quasi nebenbei – selbst konzipierte und produzierte digitale Lernmaterialien.
Seit er die technische Weiterbildung bei Stihl verantwortet, treibt den Personalentwickler Johannes Guischard die Frage um, wie sich Bildungsmaßnahmen wirksamer gestalten lassen. Auf der Suche nach den besten Konzepten lernt er den Kreativtrainer Valentin Hennig kennen. „In den Diskussionen mit ihm wurde mir klar, dass Kreativität beim Lernen eine zentrale Rolle spielt“, erzählt er. Die beiden sind sich schnell einig: Für gute Lernergebnisse reicht es nicht aus, Inhalte zu konsumieren. Stattdessen wollen sie die Lernenden an einem kreativen Prozess beteiligen.
Im gemeinsamen Brainstorming entwickeln die Bildungsexperten das Konzept der adaptiven Lernprozessgestaltung (ALP): Mitarbeiter sollen einen Lerninhalt durchdringen, indem sie im intensiven Austausch mit Kollegen zum Beispiel einen Film, ein Plakat oder einen Podcast dazu entwickeln. Es geht nicht vorrangig darum, Lernmaterial zur Weiterverwendung zu produzieren. Vielmehr soll die kreative Auseinandersetzung mit einem Thema dazu führen, dass sich die Lernenden die Inhalte nachhaltig aneignen.
Das Lernen erfolgt, indem die Mitarbeiter ein sichtbares Lernergebnis produzieren, das sie anschließend diskutieren und weiterentwickeln. In betreuten Lernteams können sie ihre Ziele einbringen und sowohl den Lernprozess als auch das -ergebnis passend zu den Rahmenbedingungen im Betrieb mitgestalten. ALP ermöglicht so nicht nur selbstbestimmtes Lernen, sondern führt ganz nebenbei dazu, dass sich die Beschäftigten eine umfassende Lernkompetenz aneignen. Nach und nach werden sie selbst zu Lernprozessbegleitern, die ihr Wissen an Kollegen weitergeben können.
Valentin Hennig, Kreativtrainer und freischaffender Künstler, Art Based Learning / Foto: David Heitz
Für den Lernerfolg ist es absolut entscheidend, dass wir von Beginn an einen sicheren Raum für die Lernenden schaffen und vertrauensvolle Beziehungen zwischen allen Beteiligten fördern. Dazu trägt bei, dass wir gemeinsam die unterschiedlichen Haltungen und Erfahrungen zum Thema Lernen und zur Arbeitssicherheit reflektieren und berücksichtigen.
Arbeitssicherheit mal ganz anders
Das Thema „Arbeitssicherheit“ bietet sich als eines der ersten Pilotprojekte an. Konkret geht es um die Herausforderung, unaufmerksames Verhalten beim Laufen durch die Produktion infolge der Nutzung von Handys zu verhindern. Das heterogene Lernteam setzt sich aus Bandarbeitern, Vorgesetzten und Arbeitssicherheitsbeauftragten zusammen. Ihr Auftrag lautet: gemeinsam einen Kurzfilm zur Arbeitssicherheit zu erstellen und auf diese Weise das erwünschte sicherheitsrelevante Verhalten zu verinnerlichen.
Johannes Guischard und Valentin Hennig steuern das Projekt methodisch und didaktisch. In einem Kick-off führen sie in die Methode ein und bieten konkrete Hilfestellung während der Videoproduktion an. In Boxenstopps werden Zwischenergebnisse gemeinsam mit dem Lernteam diskutiert und weitere Schritte beschlossen. Dabei unterstützen erfahrene Kollegen aus dem betroffenen Fachbereich als zusätzliche Lernbegleiter sowie interne Experten zum Thema Arbeitssicherheit. Die Abnahme des Videos erfolgt in einer Abschlussveranstaltung mit allen Beteiligten.
Gemeinsames Lernen auf Augenhöhe führt zum Erfolg
Johannes Guischard, Abteilungsreferent Technische Weiterbildung, ANDREAS STIHL AG & Co. KG / Foto: ANDREAS STIHL AG & Co. KG
Damit wir auch skeptische oder introvertierte Kollegen für diese Form des kreativen Lernens gewinnen, machen wir von Anfang an transparent, was wir vorhaben. In kurzen Abständen fragen wir immer wieder nach, wie die einzelnen Schritte bei den Lernenden ankommen und beziehen ihre Rückmeldungen in die nächsten Schritte ein. Durch einen ständigen Austausch und die Möglichkeit, den Prozess jederzeit aktiv beeinflussen zu können, schaffen wir gemeinsames Lernen auf Augenhöhe.
Der entstandene Kurzfilm „Handy oder Laufen“ kommt nicht nur innerhalb des Lernteams sehr gut an, sondern wird im ganzen Unternehmen positiv kommentiert. Auf diese Weise bleibt das Thema Arbeitssicherheit langfristig präsent. Als weiteren Nutzen kann das Video auch in anderen Fachbereichen eingesetzt werden. Inzwischen hat sich ALP bei Stihl etabliert und wurde bereits mehrfach umgesetzt, beispielsweise in der Forschung, im IT-Bereich und auch in der Ausbildung. Dabei hat sich bestätigt: Für wirksames Lernen spielen gute Beziehungen der Lernenden untereinander, die Berücksichtigung der Haltungen zum Lernthema und das praktische Handeln während des Lernprozesses eine entscheidende Rolle.
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Gute Praxis von Unternehmen für Unternehmen: Wissen und Werte für eine digitale Zukunft

Talente 1/2020 Titelgrafik, Grafik: WRS
„Wertschöpfung durch Wertschätzung“ heißt das zentrale Leitmotto der Rudersberger Föhl Gruppe. Der zweite Pfeiler der Firmenphilosophie ist eine ehrgeizige Innovationspolitik, mit der sich das Familienunternehmen konsequent für eine digitale Zukunft aufstellt. Mit einer werteorientierten Weiterbildungsstrategie soll die Belegschaft zu notwendigen Veränderungen ermutigt und befähigt werden sowie gleichzeitig ein neues Verständnis von Lernen gewinnen.
In seinen vier Werken in Deutschland und China fertigt Föhl Druckgusskomponenten aus Zink, Kunststoff oder aus der Kombination beider Werkstoffe, die beispielsweise in Autos eingesetzt werden. Um seine führende Wettbewerbsposition zu sichern, stellt das Unternehmen hohe Ansprüche an die Führung und seine rund 700 Beschäftigten. Die Menschen werden konsequent zum Lernen und zur Veränderung aufgefordert, gleichzeitig aber auch umfassend betreut und gefördert.
Alle können und müssen dazulernen
„Wir gehen davon aus, dass Mitarbeiter, die sich wohlfühlen und sich entfalten können, auch besonders leistungsfähig sind “, betont Dr. Frank Kirkorowicz. Der Firmenchef ist von Haus aus Mediziner und hat sein besonderes Interesse an den Menschen in die Unternehmenskultur eingebracht. „Jeder hat Potenzial. Jeder ist bereit, Neues zu lernen. Wir sind eine lernende Organisation.“ sind die Leitlinien, an denen sich die firmeneigene Akademie orientiert. Sie wurde gegründet, um unter anderem die Digitalisierungsstrategie des Unternehmens zu begleiten. Unter anderem soll Wissen künftig genau dann bereitgestellt werden, wenn es die Mitarbeiter tatsächlich benötigen. Die Unternehmensleitlinien als zentralen Kompass in den Köpfen zu verankern, ist ein weiteres Ziel des Personalentwicklungskonzepts.
Erfolgreiche Veränderungen müssen in den Köpfen der Menschen beginnen
Dr. Frank Kirkorowicz, Geschäftsführender Gesellschafter, Adolf Föhl GmbH + Co KG / Foto: Adolf Föhl GmbH + Co KG
Erfolgreiche Veränderungen müssen immer in den Köpfen der Menschen beginnen. Im Rahmen von Schichtgesprächen und Freitagsrundgängen waren Geschäftsführung und Führungskräfte deshalb überall im Unternehmen unterwegs, um unsere Zukunftsvision und die damit verbundene Digitalisierungsstrategie persönlich vorzustellen und zu diskutieren.
Mit Hochdruck will die Führung das Unternehmen zur Smart Factory umbauen. Dazu hat sich Föhl im letzten Jahr komplett neu organisiert. Klassische Strukturen wurden aufgelöst und fünf agilen Wertströmen zugeordnet, denen die Kompetenzcenter im Betrieb zuarbeiten. Für die Mitarbeiter hatte das weitreichende Folgen: Ihre Rollen und Aufgaben änderten sich, sie bekamen neue Kollegen und Vorgesetzte und wurden teilweise auch räumlich versetzt. Um den Sinn und Nutzen dieser Veränderungen zu vermitteln, hat der Führungskreis von Föhl sehr viel Zeit in die Kommunikationsarbeit investiert.
Begleitend dazu wurde der Akademieleiter Bernhard Schanz in Zusammenarbeit mit der Personalabteilung beauftragt, ein Konzept zu entwickeln, das die Belegschaft für die aktuellen Herausforderungen sensibilisieren und ihnen die dafür erforderlichen Kompetenzen vermitteln soll. Neben Seminaren zu spezifischen Gießerei-Themen stehen beispielsweise Workshops und E-Learning-Angebote zu Lean Management und Wertstrom, zu Industrie 4.0 und Digitalisierung sowie Informationsveranstaltungen zur Unternehmenspolitik und zu strategischen Projekten wie Smart Work Place und Smart Factory auf dem Programm.
Effizientes Lernen – am besten von den Kollegen
Seinen Weiterbildungsbedarf erhebt Föhl durch eine jährliche Befragung der Führungskräfte. Zusätzlich werden die Beschäftigten in den jährlichen Mitarbeiterdialogen und auch während des Jahres regelmäßig danach gefragt, was sie brauchen, um ihre Arbeit gut zu erledigen. Föhl bildet für jedes wichtige Thema ausgewählte Mitarbeiter als interne Trainer aus, die ihr Wissen anschließend an die Kollegen weitergeben. Außerdem werden spezielle „Digi-Scouts“ qualifiziert, die die Anwendung digitaler Technologien in den Wertstromteams vorantreiben sollen. Auf diese Weise soll die Belegschaft
ausdrücklich zu selbstverantwortlichem Lernen motiviert werden.
Bernhard Schanz, Föhl Akademie, Adolf Föhl GmbH + Co KG / Foto: Adolf Föhl GmbH + Co KG
Die benötigten Fachkräfte selbst zu qualifizieren, ist Teil unserer Firmenphilosophie. Wir setzen auf eine Mischung aus Fachkompetenzen, Digitalisierungsthemen und Soft Skills und wollen darüber hinaus unsere Werte nachhaltig vermitteln. So werden auch unsere Lernmaterialien überwiegend von uns bei Föhl erarbeitet. Das führt zu kostengünstigen und praxisnahen Angeboten, die zur Kultur und dem Arbeitsalltag von Föhl passen.
Wichtige Informationen werden beispielsweise in dreiminütigen Kurzvideos aufbereitet und als gehirngerechte Learning Nuggets serviert. In der Ausbildung lernen schon die Jüngsten solche Medien zu produzieren. Mit „Föhl Wikipedia“ und „Föhlexia“ entstehen zukünftig darüber hinaus auch digitale Plattformen, die das interne Wissen flexibel zur Verfügung stellen. Über Tablets sollen künftig Informationen und Anleitungen „on demand“, also dann, wenn sie benötigt werden, überall im Unternehmen abrufbar sein.
Mehr zum Thema Lernen und betriebliche Weiterbildung?
Für den Erfolg von Qualifizierungsmaßnahmen spielen die Vorgesetzten eine zentrale Rolle – davon ist Klaus Zimmermann überzeugt. Der Experte für digitale Transformation in der Aus- und Weiterbildung leitet seit 1998 den Bereich Training and Consulting Deutschland bei Festo Didactic SE. Mit seinem Team hat er in den vergangenen zwei Jahrzehnten zahlreiche Veränderungsprojekte begleitet. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie sich Lernprozesse und -umgebungen optimal gestalten lassen und warum Unternehmen dazu unbedingt auch auf ihre jüngsten Mitarbeiter hören sollten.

Klaus Zimmermann, Leitung Training and Consulting DE, Festo Didactic SE / Foto: Festo Didactic SE
WRS: Herr Zimmermann, wie können mittelständische Firmen ihre Belegschaften für die Herausforderungen der Transformation bestmöglich qualifizieren?
Klaus Zimmermann: Bevor sie über konkrete Qualifizierungsmethoden und -tools für ihre Mitarbeiter entscheiden, müssen sie zunächst klären, welchen greifbaren Nutzen ihnen die Digitalisierung überhaupt bietet. Lassen sich dadurch zum Beispiel ihre Produkte attraktiver machen oder ihre Wertschöpfungsprozesse effizienter gestalten? Führen die neuen Technologien zu Erleichterungen im Arbeitsalltag der Beschäftigten? Oder zu einer besseren Servicequalität? Erst wenn die Firmen mit ihren Mitarbeitern die Vorteile einer Digitalisierungsstrategie erarbeitet haben, können sie gemeinsam mit ihnen in eine digitale Zukunft aufbrechen. Im nächsten Schritt macht es dann Sinn zu überlegen, wie ihre Beschäftigten dafür optimal qualifiziert und weiterentwickelt werden müssen.
Was sollten die Mitarbeiter heutzutage wissen und können, um Transformationsprozesse aktiv zu gestalten?
Erforderliche Kompetenzen lassen sich am einfachsten anhand der jeweiligen Aufgaben festlegen. Wenn sich durch die Digitalisierung Tätigkeiten verändern, neue hinzukommen oder wegfallen, sollten die verantwortlichen Führungskräfte im Tandem mit den HR-Experten analysieren, was ihre Mitarbeiter ganz konkret beherrschen müssen, um die daraus resultierenden Anforderungen zu bewältigen. Schritt für Schritt können so passende Kompetenzprofile definiert werden. Dabei geht es nicht nur um neues Wissen oder bestimmte Fertigkeiten. Um unter den veränderten Rahmenbedingungen erfolgreich zu arbeiten, müssen die Mitarbeiter auch Einstellungen und Arbeitsweisen verändern.
Geht der Trend nicht dahin, dass Mitarbeiter immer mehr selbst bestimmen, was und wie sie lernen?

Talente 1_2020: Lernen und Weiterbildung im Arbeitsalltag, Bild: Elnur – stock.adobe.com
Selbstverantwortliches Lernen wird zunehmend wichtiger, vor allem für die jüngeren Generationen. In der gegenwärtigen Transformation sind viele Beschäftigten aber noch damit überfordert, wenn sie ihre Weiterentwicklung ganz alleine steuern sollen. Es braucht Führungskräfte und Personalabteilungen, die den Rahmen vorgeben und ihre Mitarbeiter auf dem Weg zu neuen Kompetenzen möglichst individuell begleiten. Wichtig ist zum Beispiel, die Ziele und den Sinn einer Lernmaßnahme überzeugend zu vermitteln und auch Bedenken ernst zu nehmen – nur so lassen sich auch tief verankerte Glaubenssätze aufbrechen.
Sind die Personalverantwortlichen auf diese Rolle als Lernbegleiter vorbereitet?
Nachhaltige Lernerfolge lassen sich erzielen, wenn die Qualifizierungsmaßnahmen beispielsweise vor- und nachbesprochen werden. Die meisten Vorgesetzten müssen erst lernen, dabei auch den Ideen ihrer Mitarbeiter zu vertrauen und diese in Kooperation mit den Personalabteilungen bei künftigen Maßnahmen zu berücksichtigen. Bei Festo fragen wir unsere Auszubildenden zum Beispiel danach, wie sich Lernprozesse aus ihrer Sicht optimieren ließen. So erfahren wir sehr viel über die sinnvolle Einbindung neuer Technologien und können unsere Abläufe effizienter gestalten. Führungskräfte müssen heutzutage nicht mehr alles besser wissen – solche Rollenklischees gilt es loszulassen.
Laut der aktuellen Studie „Learning Delphi“ gehören Erklärvideos und Learning Nuggets zu den bedeutendsten Weiterbildungstrends. Sterben Workshops und Seminare in der Zukunft aus?

Talente 1/2020 Titelgrafik, Grafik: WRS
Zukünftig werden die Mitarbeiter auf adaptiven Lernplattformen multimediale Learning Nuggets vollkommen individuell zusammenstellen können. Doch so weit sind wir noch nicht. Die Bandbreite gängiger Lernformate beginnt bei den klassischen Präsenzveranstaltungen, die nach wie vor 70 Prozent aller Maßnahmen ausmachen, und endet bei den rein digitalen Lernformen wie web-based Trainings oder Lern-Apps, die nicht so gut funktionieren, wie wir das erwartet haben. Die wirksamsten Ansätze kombinieren die Vorteile beider Seiten im sogenannten Blended Learning. Die Praxis macht außerdem sehr gute Erfahrungen mit On-the-Job-Trainings und arbeitsplatznahen Konzepten, die das Lernen in den Arbeitsalltag integrieren.
Wie müssen wir uns das genau vorstellen?
Bei Festo haben wir eine Lernfabrik entwickelt, die mitten in unserer Produktionshalle
angesiedelt ist. Abhängig vom Lernbedarf unserer Mitarbeiter werden dort immer wieder neue, flexible Lernumgebungen aufgebaut, die an die tatsächlichen Arbeitsplätze erinnern.
Methodisch setzen wir auf kurze Lernsequenzen mit sehr engem Praxisbezug und vielen Wiederholungen. Bewährt hat sich außerdem, Führungskräfte aus den Fachbereichen als Trainer zu qualifizieren.
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Gute Praxis von Unternehmen für Unternehmen: Wissen und Werte für eine digitale Zukunft

Talente 1/2020 Titelgrafik, Grafik: WRS
Der fortschreitende technologische Wandel macht es für Betriebe und ihre Mitarbeiter erforderlich, beständig dazuzulernen. Die Beschäftigten mit passenden Rahmenbedingungen und den richtigen Konzepten beim Lernen zu unterstützen, gehört zu den wichtigsten Stellschrauben, um die anstehende Transformation zu bewältigen. Auch die Politik fördert dieses Bestreben im Rahmen ihrer Nationalen Weiterbildungsstrategie. Durch die digitalen Technologien und eine veränderte Arbeitskultur sind völlig neue Möglichkeiten entstanden, um betriebliche Qualifizierung zu konzipieren. Doch was davon ist wirklich relevant, um die Belegschaften für aktuelle und zukünftige Herausforderungen bestmöglich zu wappnen?
Durch den gegenwärtigen Umbruch treffen die Menschen in den Firmen regelmäßig auf Situationen und neue Aufgaben, die sie bisher noch nicht kannten. Um diese zu meistern und die daraus resultierenden Kompetenzanforderungen zu erfüllen, brauchen sie nicht nur neues Wissen und zusätzliche Fähigkeiten,
sondern müssen zudem bewährte Denk- und Handlungsmuster über Bord werfen. Lebenslanges Lernen wird vor diesem Hintergrund auch für die kleinen und mittelständischen Betriebe zu einer maßgeblichen
Grundhaltung für ihren Erfolg. Die Fähigkeit der Mitarbeiter, selbstverantwortlich dazuzulernen und sich beständig an Veränderungen anzupassen, gilt heutzutage als Schlüsselfertigkeit und sollte entsprechend gefördert werden.
Ob sich Mitarbeiter bei ihrem Arbeitgeber weiterentwickeln können, wird maßgeblich von dessen Unternehmenskultur und den organisatorischen Rahmenbedingungen bestimmt. Der Organisationspsychologe Lutz von Rosenstiel hat vier Faktoren beschrieben, die das Verhalten von Menschen – und damit auch das Lernen – in Organisationen beeinflussen: Zuallererst müssen die Mitarbeiter motiviert sein, etwas zu lernen (Wollen). Sie brauchen außerdem die Fähigkeit dazu, selbstverantwortlich zu lernen (Können). Auch das direkte Umfeld spielt eine wichtige Rolle. Führungskräfte und Kollegen sollten sie unterstützen und ihnen keine Steine in den Weg legen (Dürfen). Und schließlich muss die aktuelle Situation im Betrieb das Lernen auch zulassen und beispielsweise genügend zeitliche und finanzielle Ressourcen bereitstellen (Situative Ermöglichung).
Dort lernen, wo der Qualifikationsbedarf entsteht

Das 70-20-10-Lernmodell, Grafik: WRS
Durch die gegenwärtige Transformation sind die Betriebe gezwungen, ihre Arbeitsabläufe in kurzen Zeitschleifen immer wieder zu hinterfragen und zusätzlich notwendiges Know-how möglichst schnell zu generieren. In der Praxis setzen sich deshalb vermehrt informelle Lernformate durch, bei denen das Lernen in den Berufsalltag integriert wird. Beim Training-on-the-Job oder in arbeitsplatznahen Lernfabriken lernen die Beschäftigten unter anderem, indem sie mit ihren Kollegen Erfahrungen austauschen, aktuelle Lösungsstrategien reflektieren und sich gegenseitig in neuen Fertigkeiten schulen. Gestützt werden solche Konzepte auch durch das „70-20-10-Modell“.
Neue Lernformen: effizient, flexibel, sinnvoll

Talente 1_2020: Lernen und Weiterbildung im Arbeitsalltag, Bild: JenkoAtaman – stock.adobe.com
Mit der Digitalisierung der Industrie ist die Idee vom „Lernen 4.0“ geboren. Sie setzt auf neue Technologien und stellt die Effizienz des Lernens in den Mittelpunkt. Digitale Lernplattformen haben das Ziel, die Lernenden auf der Basis vielfältiger Daten möglichst bedarfsgerecht und individuell zu unterstützen. Mithilfe von künstlicher Intelligenz erleichtern solche Systeme beispielsweise die Informationssuche, erinnern an Lernzeiten oder machen Vorschläge für neue Lerninhalte. Agiles Lernen zielt darauf ab, dass sich Organisationen permanent und flexibel an neue Rahmenbedingungen anpassen müssen. Es ist orientiert an konkreten Aufgaben aus dem Arbeitsalltag und erfolgt nach dem Prinzip: sich austauschen, ausprobieren, diskutieren, anpassen – zum Beispiel durch Prototyping oder Experimentieren. Strukturierte Abläufe schaffen einen stabilen Rahmen, in dem die Lerninhalte immer wieder neu an den aktuellen Bedarf angepasst werden können.
Soziale Aspekte gewinnen an Bedeutung
New Learning legt seinen Schwerpunkt auf sinnhaftes Lernen, also auf die Frage des „Warum“. Ein weiterer Aspekt ist die Zugehörigkeit zu einer (Lern-)Gemeinschaft, die die soziale Dimension des Lernens in den Vordergrund rückt. Zu den New-Learning-Ansätzen zählt auch das sogenannte „Service Learning“, bei dem Lernprozesse mit gesellschaftlichem Engagement verbunden werden. Welche Lernidee ein Unternehmen letztendlich in den Vordergrund stellt, hängt von seinen vorrangigen Zielen ab.

Talente 1_2020: Lernen und Weiterbildung im Arbeitsalltag, Bild: ASDF – stock.adobe.com
Blended Learning: Die Mischung macht’s
Die meisten Bildungsmaßnahmen finden trotzdem noch immer in Form von klassischen Seminaren oder Workshops statt. Immer mehr Personalentwickler bevorzugen allerdings Blended-Learning-Konzepte, die Präsenzveranstaltungen mit informellen Formaten und E-Learning- Konzepten kombinieren. Digitale Technologien machen es heute möglich, Lerninhalte zum Beispiel durch Videos, Podcasts, mobile Lern-Apps, Webinare oder in webbasierten Trainings (WBT) zu vermitteln oder zu ergänzen. Das Lernen kann so günstiger, zeitlich flexibel und standortunabhängig organisiert werden.
Zu den aktuellsten Trends gehört außerdem das „Microlearning“, das die Lerninhalte in kleine, überschaubare Einheiten, sogenannte „Learning Nuggets“ aufteilt. Dadurch entstehen beispielsweise kurze Texte, Podcasts oder Filmsequenzen, die nicht nur effizientes Lernen erleichtern, sondern es auch möglich machen, das Lernen in den Arbeitsalltag zu integrieren. Im Rahmen von digitalen Lernplattformen können sich die Nutzer mit solchen Learning Nuggets individuelle Lernpfade selbst zusammenstellen.
Neue Rollen und Aufgaben für Personalverantwortliche

Talente 1_2020: Lernen und Weiterbildung im Arbeitsalltag, Bild: beermedia – stock.adobe.com
Durch die neuen Technologien haben sich auch die Rollen und Aufgaben in der betrieblichen Weiterbildung verändert. Zukunftsgerichtete Personalentwickler brauchen einen Überblick über die aktuellen Lernformate und -technologien und müssen beurteilen können, was diese leisten. Als „Learning Designer“ kombinieren sie die besten Tools und schaffen so Trainingskonzepte, die individuelles Lernen für die Mitarbeiter ermöglichen und dadurch den bestmöglichen Lernerfolg bieten. Zum Auftrag der Führungskräfte gehört es, Lernprozesse zu initiieren und diese aktiv zu begleiten. Dazu muss zudem ein geeigneter Rahmen geschaffen werden, um den Einsatz digitaler Lernmedien und informeller Formate realisierbar zu machen. Mithilfe der neuen technischen Möglichkeiten werden die Mitarbeiter dabei unterstützt, selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu lernen. Durch gezieltes und lebenslanges Lernen halten sie sich fit für die Anforderungen der digitalen Arbeitswelt.
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Gute Praxis von Unternehmen für Unternehmen: Wissen und Werte für eine digitale Zukunft

Talente 3/2019, Grafik: WRS
Um die digitale Transformation erfolgreich zu meistern, versuchen viele Firmen im Eiltempo ihre Abläufe zu digitalisieren und agile Strukturen einzuführen. Für den erfolgreichen Wandel braucht es jedoch nicht nur Tempo, Technologien und Prozesse. Ob digitale Chancen genutzt werden können, hängt vor allem auch von den kulturellen Rahmenbedingungen ab, die dafür den notwendigen Freiraum sowie Orientierung und Sicherheit bieten müssen. Denn neue Formen der Zusammenarbeit können nur dann entstehen, wenn Führung und Mitarbeiter gemeinsam bereit sind, bekanntes Terrain zu verlassen und ihre Werte, Spielregeln und Verhaltensmuster weiterzuentwickeln.
Mit fortschreitender Digitalisierung muss sich auch die Kultur einer Firma verändern – darin sind sich Experten und Firmenvertreter einig. Was alles zur Unternehmenskultur zählt, ist jedoch nicht eindeutig definiert. Im Kern geht es um ein gemeinsames Verständnis davon, wie die Arbeit und das Miteinander in einem Betrieb gestaltet werden. Der Satz „So machen wir es hier“ bringt es pragmatisch auf den Punkt.
Die meisten Kulturaspekte wirken im Verborgenen

Unternehmenskultur im Eisbergmodell, Grafik: WRS
Sichtbar wird die Kultur beispielsweise in den Leitbildern und Zielen eines Unternehmens, aber auch in seinen konkreten Arbeitsbedingungen, dem Dresscode oder der Gestaltung des Firmengebäudes. Ähnlich wie bei einem Eisberg liegen die meisten kulturellen Aspekte jedoch im Verborgenen und sind nach außen hin nicht auf Anhieb erkennbar. Gemeinsame Haltungen und Wertvorstellungen, typische Verhaltensmuster oder unausgesprochene Regeln – das alles prägt eine Firmenkultur, ohne dass es irgendwo festgehalten wird.
Ob sich die Kultur eines Unternehmens gezielt beeinflussen und entwickeln lässt, darüber gehen die Meinungen deshalb auseinander. Fest steht jedenfalls, dass sich ein Kulturwandel nicht einfach von oben verordnen lässt. Die Quelle jeder Unternehmenskultur sind die Werte des Gründers oder der Gründerin, die im Laufe der Unternehmensentwicklung durch vielfältige Einflüsse ergänzt und verändert werden. Zu den externen Treibern zählen Megatrends wie die Globalisierung, der demografische Wandel oder die Digitalisierung. Aber auch interne Faktoren, wie veränderte Wertvorstellungen der Mitarbeiter, Produktinnovationen oder eine neue Firmenleitung können Gründe für einen Wandel sein.
Kulturwandel heißt dicke Bretter bohren

Talente 3_2019_Unternehmenskultur_4.0, Bild: Jakob Jirsák – stock.adobe.com
Die digitale Transformation greift tief in die bestehende DNA der Unternehmen ein. Weil unter der Oberfläche mächtige Hindernisse und jede Menge Widerstand lauern, braucht es in jedem Fall Zeit und viele kleine Transformationsschritte, um die Menschen mitzunehmen und ihre Veränderungsfähigkeit und -bereitschaft zu entwickeln. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen dazu ihre Bilder von einer guten Arbeitskultur neu ausrichten, konkrete Erfahrungen sammeln und ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen. Organisationsstrukturen zu verändern und Macht neu zu verteilen, bedeutet für die Beteiligten immer auch, bewährte Handlungsmuster und Gewohnheiten loszulassen und dadurch Sicherheit aufzugeben.
In Zeiten des Wandels kommt den Führungskräften deshalb eine besondere Rolle zu. Durch ihre Werte, die Art ihrer Kommunikation und typische Verhaltensweisen prägen sie das Unternehmen maßgeblich mit. Das bedeutet aber nicht, dass sie Neuerungen gegen die herrschende Kultur einfach durchsetzen können. Stattdessen sollten sie als Vorbilder für die angestrebten Veränderungen fungieren, um so neue Sicherheit zu vermitteln. Es reicht nicht aus, Hierarchien abzuschaffen und eine Vertrauenskultur auszurufen, wenn am Ende des Tages trotzdem alle wichtigen Entscheidungen vom Eigentümer abgesegnet werden müssen. Für eine erfolgreiche Transformation müssen die Verantwortlichen den Sinn und alle wichtigen Rahmendaten transparent machen und auch selbst bereit sein, sich zu verändern.
Die Personalabteilung muss angestrebte Werte vorleben

Talente 3_2019_Unternehmenskultur_4.0, Bild: Boggy – stock.adobe.com
Einen wichtigen Beitrag leisten außerdem die Personalverantwortlichen, die mit einer klugen Strategie und passenden Maßnahmen die Entwicklung einer zukunftsgerichteten Firmenkultur vorantreiben und den Wandel begleiten können. Beispielsweise indem sie die Mitarbeiter einstellen, die zur angestrebten Kultur passen, oder Nachwuchskräfte gezielt fördern, die relevante Werte verkörpern und teilen. Die Entwicklung eines gemeinsamen Leitbildes kann als Orientierung dienen, und spezielle Weiterbildungsmaßnahmen können Ängste reduzieren und den Lernprozess beschleunigen. Die Schaffung kreativer Freiräume trägt ebenfalls dazu bei, dass sich neue Ideen zur Zusammenarbeit etablieren. Nicht zuletzt übt auch die Personalabteilung eine wichtige Vorbildfunktion aus, indem sie die gewünschte Kultur konsequent vorlebt.
Eine attraktive Unternehmenskultur zieht Fachkräfte an

Talente 3_2019_Unternehmenskultur_4.0, Bild: Довидович Михаил – stock.adobe.com
Die kulturellen Faktoren in einem Unternehmen richtig einzuschätzen, ist für Außenstehende und neue Mitarbeiter oft schwierig. Dessen ungeachtet spielen sie im Recruiting eine wichtige Rolle. Insbesondere die jüngeren Bewerber beschäftigen sich heute intensiv damit, ob die eigenen Wertvorstellungen und Ziele zur Kultur eines Arbeitgebers passen. Der sogenannte „Cultural Fit“ hat sehr viel damit zu tun, ob sich Mitarbeiter langfristig in einem Unternehmen wohlfühlen. Nur wenn die Wertvorstellungen übereinstimmen und die Beschäftigten den Sinn in ihrer Aufgabe erkennen, wird aus einem Beschäftigungsverhältnis eine langfristige Beziehung werden. Eine stimmige Kultur beeinflusst sowohl die allgemeine Arbeitszufriedenheit als auch die generelle Leistungsbereitschaft positiv. Ihre aktive Gestaltung kann deshalb wesentlich zum Erfolg des Unternehmens beitragen und ihm den entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen.
Zu den gegenwärtig größten Herausforderungen der Unternehmen zählt es, dass sie einerseits ihr erfolgreiches Kerngeschäft optimieren müssen und gleichzeitig in eine weitgehend unbekannte Zukunft aufbrechen sollen. Die Fachwelt spricht vom Meistern der Ambidextrie. Dadurch entwickeln sich hinter denselben Firmenmauern oft zwei unterschiedliche Welten. Gemeinsam getragene Werte können in einer solchen Situation als wichtiger sozialer Klebstoff wirken.
Letztendlich entsteht Unternehmenskultur aus allem, was Mitarbeiter und Führungskräfte tagtäglich tun. Die große Chance für eine Veränderung liegt deswegen zuallererst darin, die Dinge reflektierter zu tun. Trends wie „Mindful Leadership“ und Achtsamkeit haben ihre Berechtigung, weil sie die Fähigkeiten zum Wahrnehmen und Zuhören fördern. Wenn Menschen wissen, wohin sie wollen, und fähig sind, sich den magischen Raum zwischen Reiz und Reaktion bewusst zu machen, können sie ihre gemeinsame Kultur auch in die für sie richtige Richtung steuern.