„Durch intelligente Programme werden sich Personalentscheidungen grundlegend verändern“
Wie kann es durch den Einsatz neuer Technologien und KI noch besser gelingen, Talente zu gewinnen, zu fördern und im Unternehmen zu halten? Vielfältige Erfahrungen damit gesammelt hat bereits Sven Semet, der bei der IBM für Talentmanagement-Strategien und innovative HR-Lösungen verantwortlich ist. Der gelernte Informatiker mit Berufspraxis als HR-Business-Partner ist davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz (KI) künftig als „Kollege“ der Personaler in vielen HR-Bereichen Einzug halten und beispielsweise die Kommunikation mit Bewerbern und Mitarbeitern wesentlich effizienter und serviceorientierter gestalten wird. Wir wollten von ihm wissen, wie sich Personalentscheidungen durch intelligente Daten künftig verändern werden und welche ethischen Fragen damit verbunden sind.
Talente: Herr Semet, Sie vertreten die Auffassung, dass mit den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz offene Stellen besser und gerechter besetzt werden können als durch klassisches Recruiting. Sind Roboter die besseren Personaler?
Sven Semet: Roboter können Recruiting-Prozesse beschleunigen und auch qualitativ besser machen. KI-Systeme lernen aus den Daten der vergangenen Bewerbungsprozesse und ziehen daraus ihre Schlüsse. Indem man zusätzlich bestimmte Kriterien vorgibt, suchen sie beispielsweise gezielt nach Personen, die zur Unternehmenskultur passen. Durch das Eliminieren von Kategorien, wie der Religion oder dem Alter, kann zudem vermieden werden, dass sie gängigen Vorurteilen folgen. Sie treffen Personalentscheidungen auf Faktenbasis, aber nicht alleine, sondern im Austausch mit den HR-Experten, deren Feedback sie in künftige Empfehlungen miteinbeziehen. Indem sie ihnen die Vorauswahl der Kandidaten abnehmen und auch die Routinekommunikation mit den Bewerbern steuern können, entlasten die Roboter die Personaler ganz maßgeblich.
Ändern sich dadurch die Rolle der Personaler und die Anforderungen an ihre Kompetenzen?
Digitales Know-how wird auch im HR zu einem zentralen Anforderungskriterium werden. Personalverantwortliche brauchen heutzutage Datenkompetenz, ein Verständnis für die angewandten Algorithmen und vor allem die Fähigkeit, die Vorschläge der KI einzuordnen, zu hinterfragen und zu bewerten. Nur wenn sie verstehen, warum das System eine bestimmte Personalentscheidung vorschlägt, können sie darauf Einfluss nehmen. Gleichzeitig bekommen die Personaler durch ihre KI-Assistenzsysteme mehr Zeit, sich beispielsweise mit strategischen Fragen auseinanderzusetzen, und können dadurch auch ihren Stellenwert im Unternehmen stärken.
Die IBM nutzt bereits digitale Assistenten auf ihrer Karriereseite. In der aktuellen Social-Media-Personalmarketing-Studie der Hochschule Rhein-Main wird jedoch deutlich, dass die meisten Bewerber dem Robot-Recruiting insgesamt noch sehr skeptisch gegenüberstehen. Welche Erfahrungen machen Sie damit?
Auf unserer Karriereseite können Bewerber ihre Lebensläufe hochladen und anschließend mit unserem Karriere-Chatbot kommunizieren. Bereits nach 10 bis 15 Fragen zu ihrer Person werden ihnen passende Positionen angeboten. Zudem können die Kandidaten selbst auch Fragen stellen. Die Chance, dass sich ein Bewerber auf eine ihm angebotene Stelle bewirbt, liegt aktuell bei über 90 Prozent. Persönlichen Kontakt gibt es ja nach wie vor, sobald die Bewerbungsgespräche starten. Im Bereich Personalisiertes Lernen nutzen wir ebenfalls einen intelligenten Assistenten, der individuelle Karriereempfehlungen gibt, Entwicklungsschritte simuliert und den Qualifizierungsbedarf für gewünschte Entwicklungen aufzeigt. Auch hier werden die empfohlenen Angebote von den Mitarbeitern sehr gut angenommen. In der Zukunft könnten rund 90 Prozent der Routinedialoge über solche Chatbots abgewickelt werden.
Um die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz auszuschöpfen, braucht es umfangreiche persönliche Daten der Mitarbeiter. Müssen diese nicht befürchten, vollständig überwacht zu werden und im schlimmsten Falle Nachteile aus der Datenanalyse zu erleiden?
Es ist sehr verständlich, dass mit der Nutzung persönlicher Daten manche Ängste verbunden sind. Transparenz und Vertrauen zum Arbeitgeber sind deshalb enorm wichtig. Die Mitarbeiter müssen wissen, welche Daten zu welchem Zweck erhoben und analysiert werden, und sich jederzeit darauf verlassen können, dass die persönlichen Daten nicht gegen ihre Interessen verwendet werden. In Deutschland geht jede Software automatisch durch die Mitbestimmung. Geregelt werden Zweck und Umfang der Datennutzung und auch, in welcher Form die Betriebsräte Einblick in die Datenauswertungen bekommen. Ich empfehle immer, dass die Mitarbeiter über den Betriebsrat und Datenschutzbeauftragte möglichst frühzeitig in die Konzepte für eine intelligente Datennutzung einbezogen werden. Bei People Analytics spielen darüber hinaus auch ethische Fragen eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit verschiedenen Verbänden, so auch die Deutsche Gesellschaft für Personalführung (DGFP) oder das Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik, beschäftigen wir uns mit dem Thema und arbeiten deshalb aktuell unter anderem an Leitlinien zur Implementierung von People-Analytics-Projekten in Unternehmen.
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vor 21 Tagen