„Gesundheitsförderung muss Teil der Unternehmensstrategie werden“

Prof. Dr. Karlheinz Sonntag

Prof. Dr. Karlheinz Sonntag, Universität Heidelberg

Wie kommen die Menschen mit den wachsenden Anforderungen unserer modernen Arbeitswelt zurecht? Und wie bleiben sie gleichzeitig fit und leistungsfähig bis ins hohe Beschäftigtenalter? Antworten auf diese Fragen kennt Prof. Dr. Karlheinz Sonntag, der Inhaber des Lehrstuhls für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Heidelberg. Er forscht mit seinem Team seit vielen Jahren zu Veränderungsprozessen in Betrieben und ihren Folgen für die Menschen. Wir wollten von ihm wissen, wie sich die Digitalisierung und andere Megatrends auswirken und wie gesunde Arbeit in der Zukunft aussehen kann.

 

WRS: Herr Prof. Dr. Sonntag, Gesundheit ist zum Megatrend geworden. Warum hat das Thema heute auch für die Unternehmen eine immer größere Relevanz?

Karlheinz Sonntag: Dazu tragen zwei grundlegende Entwicklungen bei: Die voranschreitende Digitalisierung schafft große Handlungsspielräume und Flexibilität – sie bringt aber auch ständig neue Anforderungen für die Firmen und ihre Belegschaften. Gleichzeitig führt der demografische Wandel zu einem knapperen Angebot an Arbeitskräften und bewirkt, dass wir immer später in Rente gehen werden. Für den künftigen Erfolg der Unternehmen ist es deshalb essenziell, dass ihre Mitarbeiter bis ins hohe Beschäftigtenalter gesund, lern- und leistungsfähig bleiben.

Vor allem die psychische Gesundheit scheint aber zunehmend gefährdet zu sein. In einer aktuellen Studie der Universität St. Gallen geben 23 Prozent der Befragten an, sie seien von den Auswirkungen der Digitalisierung emotional erschöpft. Die Statistiken der Krankenkassen weisen die psychischen Erkrankungen zwischenzeitlich als die zweithäufigste Diagnose aus, die zur Arbeitsunfähigkeit führt. Macht uns die Arbeit heute psychisch krank und depressiv?

Wenn Menschen aufgrund von psychischen Erkrankungen bei der Arbeit ausfallen, bedeutet dies nicht, dass die moderne Arbeitswelt auch ursächlich für die Erkrankung ist. Krankheitsbilder wie Depressionen, Angststörungen oder allgemeine Erschöpfungssyndrome haben vielfältige Ursachen. Dabei spielen traumatische Erlebnisse, fehlende emotionale Sicherheit oder körperliche Erkrankungen eine Rolle, aber auch Überlastungssituationen im Spannungsfeld zwischen Arbeit, Familie und Freizeit. Sie alle können das Risiko einer Erkrankung begünstigen, insbesondere wenn genetische Prädispositionen vorhanden sind.

Um solche Überlastungssituationen zu verringern, hat der Gesetzgeber die Firmen dazu verpflichtet, nicht nur körperliche Belastungen zu erheben, sondern auch eine psychische Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Viele Betriebe sehen darin nur einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand ohne Nutzen. Haben sie recht?

Unsere hoch dynamische Arbeitswelt bietet viele Chancen, aber eben auch Entwicklungen, die die Psyche der Menschen belasten können. Dazu gehören zum Beispiel der steigende Zeit- und Termindruck, die Erwartung, dass wir rund um die Uhr erreichbar sind oder auch eine zunehmende Informationsflut. Wenn sich die Menschen dadurch überfordert und zu sehr beansprucht fühlen, dann begünstigt das mittelfristig, dass sie krank werden. Und dadurch entstehen Nachteile für den Einzelnen und die Unternehmen, die den Aufwand einer psychischen Gefährdungsbeurteilung eindeutig rechtfertigen.

Sie plädieren für einen ganzheitlichen, ressourcenorientierten Gesundheitsansatz. Was ist damit gemeint?

Ein modernes Human Resources- und Gesundheitsmanagement sollte sich nicht darauf beschränken, körperliche und psychische Belastungen bei der Arbeit zu reduzieren. Wichtig ist, die Aufmerksamkeit auch auf alles zu richten, was die Gesundheit der Mitarbeiter fördert und sie auf die Anforderungen der modernen Arbeitswelt vorbereitet. Das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) muss Teil der Unternehmensstrategie werden und auch die Mitarbeiter- und Führungskräfteentwicklung miteinbeziehen. Hilfreiche Ressourcen zur Gesundheitsförderung können zum Beispiel persönliche Fähigkeiten und Kompetenzen der Beschäftigten, Bewältigungsstile, organisatorische Rahmenbedingungen oder eine mitarbeiterorientierte Führungskultur sein. Aber auch das individuelle Gesundheitsverhalten spielt eine Rolle.

Lassen sich diese Empfehlungen auch auf kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) übertragen?

Wie vorbeugende Gesundheits- und Fördermaßnahmen in kleineren Betrieben idealerweise aussehen, dazu gibt es bisher kaum Forschungsergebnisse und auch nur wenige Vorbilder. Im Rahmen des Projekts „MEgA – Maßnahmen und Empfehlungen für die gesunde Arbeit von morgen“ setzen wir uns gemeinsam mit Partnern aus ganz Deutschland damit auseinander. Wir untersuchen zum Beispiel auch, ob die Studienergebnisse zu körperlichen und psychischen Belastungen, die in Großbetrieben erhoben wurden, genauso für die KMU zutreffen. Unabhängig von der Größe gilt jedoch: Jedes Unternehmen ist anders. Gerade kleinere Betriebe sollten sich aufgrund ihrer begrenzten Mittel sehr differenziert damit auseinandersetzen, welche Belastungen und Ressourcen in ihrem Fall wirklich relevant sind – bevor sie präventive Maßnahmen ergreifen.

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