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Die neue Arbeitswelt der Leonberger MAS GmbH vermittelt die offene und kommunikative Arbeitskultur des Familienunternehmens und bietet optimale Bedingungen für vier Mitarbeiter-Generationen. Arbeit so zu gestalten, dass die Menschen sich dabei wohlfühlen, ist ein zentrales Leitmotiv des Werkzeugspezialisten. „Wir wollten ein Gebäude schaffen, das uns dient“, betont Geschäftsführer Steffen Schmigalla. Dass dies gelungen ist, lässt sich seit Ende 2018 begutachten. Künftig soll der Neubau
auch verstärkt junge Bewerber nach Leonberg locken.

Gebäude MAS GmbH, Bild: MAS GmbH
Als Steffen und Jochen Schmigalla das neue Firmengebäude der Öffentlichkeit präsentierten, lag eine ereignisreiche Zeit hinter den MAS-Geschäftsführern. „Den ersten Entwurf haben wir komplett verworfen und gemeinsam mit unseren Mitarbeitern nochmals ganz von vorne angefangen“, gibt Steffen Schmigalla Einblick in den mehrjährigen Planungsprozess. Entstanden ist schließlich viel mehr als ein Verwaltungsgebäude: Der Neubau verkörpert nicht nur ihre Vision von zukunftsgerichtetem Arbeiten, sondern beeinflusst maßgeblich die gesamte Firmenkultur.
Ein offenes Raumkonzept fördert den intensiven Austausch
Transparenz und bereichsübergreifende Kommunikation sind die bestimmenden Werte der Zusammenarbeit geworden. Im neuen Gebäude gibt es flexible Zonen, wo sich die Mitarbeiter treffen, miteinander diskutieren und arbeiten, aber auch entspannen, Pause machen und zusammen feiern können. Einen Einblick in technologische Entwicklungen gewährt die neu gestaltete MAS-Technikwelt, die für Kunden und Mitarbeiter gleichermaßen offensteht. Um den Wissens- und Informationsaustausch gezielt zu unterstützen, können zudem flexible Flächen für Workshops und Design Thinking abgetrennt werden.
Im ersten Stock herrscht sowohl konzentrierte als auch kreative Arbeitsatmosphäre – das offene und agile Raumkonzept bietet für beides ideale Möglichkeiten. Überall sind interaktive Wandflächen installiert, auf denen die Ergebnisse der Teamarbeit und wichtige Übersichten entwickelt werden. Die konsequente Visualisierung ist Teil der neuen Arbeitskultur, die ganz bewusst darauf abzielt, alle Sinne anzusprechen und Wissen zu teilen. Wer sich diskret besprechen oder konzentriert arbeiten will, kann sich aber auch in eigens dafür gestaltete Sitzgruppen und Räume zurückziehen. „Das Spannungsfeld zwischen Kommunikation und Konzentration auszubalancieren, ist trotzdem nicht immer leicht“, weiß Steffen Schmigalla. Auch weil die verschiedenen Generationen unterschiedliche Bedürfnisse haben. Die Mitarbeiter haben deshalb gemeinsame Vereinbarungen erarbeitet, die beispielsweise festlegen, wann konzentrierte Arbeitsphasen gestört werden können.
Unabhängig von Funktion oder Ebene werden bei MAS alle Mitarbeiter gleichermaßen informiert. Dazu dienen Infotage, bei denen die Fachverantwortlichen Neuerungen und Ergebnisse aus ihren Bereichen präsentieren oder die monatliche Geschäftsführer-Mail, in der über aktuelle Entwicklungen in der Firma berichtet wird. „Lunch & Talk“ ist ein spezielles Format, bei dem ein Mitglied der Geschäftsleitung für bis zu 15 Mitarbeiter kocht und sämtliche Fragen der Runde beantwortet. Auch der Wissensaustausch mit Kunden und Geschäftspartnern prägt den MAS-Spirit und wird durch regelmäßige Veranstaltungen gefördert. Gerne werden dazu die Ehepartner eingeladen, denn das Unternehmen versteht sich als eine Gemeinschaft, für die auch Privatleben eine wichtige Rolle spielt. Gelegentlich tollt deshalb schon mal ein Hund über die Flächen und buhlt um die Aufmerksamkeit der Mitarbeiterkinder, die im mobilen Kids Place spielen, lernen oder ein Mittagsschläfchen halten.
Das MAS-HUB bietet Raum für Experimente
Um neue Kollegen schnell zu integrieren, helfen umfangreiche Schulungsmodule, die alle Mitarbeiter durchlaufen müssen. Eine Hospitation im technischen Bereich zählt ebenfalls dazu. Gemeinsam mit externen Arbeitsweltexperten wird zudem das alte Gebäude nach den Ideen der jüngsten Mitarbeiter zum MAS-HUB entwickelt. Ab 2020 wird es dort zusätzliche Rückzugsmöglichkeiten geben. Vor allem aber soll ein Zukunftslabor entstehen, in dem neue Produkte, Geschäftsmodelle und innovative Arbeitsformen getestet werden, sodass speziell auch die jüngeren Generationen an der Unternehmenszukunft mitbauen können.
Steffen Schmigalla, Geschäftsführer der MAS GmbH / Bild: MAS GmbH
„Wichtiger Teil unserer Kultur ist es, dass alle Altersgruppen wertgeschätzt und mit ihren Bedürfnissen ernst genommen werden. Wir haben ein Konzept entwickelt, mit dem wir die jüngeren Generationen bewusst in die Unternehmensentwicklung einbinden wollen. Auf der operativen Ebene haben wir die gesamte Führungsverantwortung bereits abgegeben und werden uns in der Geschäftsleitung zukünftig vorwiegend strategischen und steuernden Aufgaben widmen.“
Als Jochen Schroda und Jens Kenserski 1999 ihre Agentur Pulsmacher gründeten, hatten sie ein klares Ziel vor Augen: eine Arbeit, die Spaß macht, in einer Umgebung, die Spaß macht, mit Menschen, die Spaß machen. Die eigene Firma sahen sie als Mittel, um möglichst viele Erfahrungen zu sammeln und sich anschließend beim richtigen Arbeitgeber zu bewerben. Daraus ist allerdings nichts geworden. Dieses Jahr feiert die Agentur ihr 20-jähriges Bestehen und beschäftigt in ihrem „neo. Office“ in Ludwigsburg zwischenzeitlich 30 Mitarbeiter – alle gleichfalls auf der Suche nach dem guten Arbeitsleben.
Mit ihrem Team und dem dritten Geschäftsführer Thorsten Weh unterstützen die Pulsmacher-Gründer Firmen aus verschiedensten Branchen – es geht bei den Aufträgen immer um Kommunikation, angefangen von der Gestaltung klassischer Printprodukte bis hin zum richtigen Umgang mit künstlicher Intelligenz. Die Kreativschmiede konzipiert Events, entwickelt Konzepte zur Raumgestaltung und berät zur Unternehmenskultur. Oft steht die Frage im Fokus: Wie wollen wir in der Zukunft arbeiten? Dazu können die Kommunikationsexperten einiges aus eigener Erfahrung beitragen – sie haben in einem eineinhalbjährigen Versuch erforscht, wie New Work zu „pulswork“ werden könnte.
Ziel der Expedition: Gute Neue Arbeit
Ort des Geschehens war das Pop-Up- Office in der Ludwigsburger Hoferstraße, wo Jens Kenserski mit seinem Team 2017 einen kompletten Neuanfang gewagt hatte. Was direkt davor und in den eineinhalb Jahren danach passierte, sagt viel über den Geist und die besondere Kultur des Unternehmens aus.

Bild: pulsmacher GmbH
Nach ihrer Gründung waren er und sein Kollege schnell erfolgreich geworden und irgendwann in ein Loft in der Ludwigsburger Weststadt umgezogen. „Viel Weiß, viel Stahl, viel Glas – es waren tolle Räumlichkeiten“, betont er. „Im Nachhinein betrachtet, haben wir uns jedoch der Architektur unterworfen.“ In den Räumen standen die typischen Zwei-Meter-Schreibtische mit Festnetz-Telefonen, Rollcontainern und Regalen dahinter. Es gab Geschäftsführerbüros, die Türen waren meist geschlossen. Projekte, Verantwortlichkeiten und Mitarbeiter waren klar zugeordnet. „Draußen wurde alles immer schneller und wir saßen in unserer Location, wie auf einem bequemen Sofa“, analysiert Kenserski. Irgendwann war klar: Es musste sich etwas ändern, wenn Pulsmacher mit der neuen digitalen Welt mithalten wollte. Sie stellten allerdings schnell fest, dass sie gar nicht wirklich wussten, was sie in Zukunft brauchen würden. Aus dieser Erkenntnis heraus wurde das Pop-Up-Office geboren: In einer spontanen Aktion zog die Agentur in ein leer stehendes Gebäude mit 80er-Jahre-Charme und startete in ein Experiment, das nicht nur die räumlichen Rahmenbedingungen, sondern auch ihre Arbeitskultur auf den Kopf stellen sollte.
Wo alles sein darf, wird vieles möglich
Sie hatten keinen Plan in der Schublade. Stattdessen begann das Team zu experimentieren – alles durfte gedacht und ausprobiert werden, was die Mitarbeiter mit dem perfekten Arbeitsplatz in Verbindung brachten. Es wurde diskutiert, entworfen, umgebaut, recycelt, manches wieder verworfen – vieles aus ihrem „alten Leben“ entsorgt. Alle drei Monate haben sie umgestaltet – im Fokus immer die Frage: Welche Räume, Möbel, technische Ausstattung und Prozesse sind ideal für uns? „Wir lieben es, radikal zu denken“, beschreibt Kenserski den Geist dieser Phase. Dadurch ist sehr viel positive Energie und Inspiration entstanden, gleichzeitig sind die Pulsmacher auch an Grenzen gekommen. Denn alles passierte zusätzlich zur normalen Arbeit. Zwei Mitarbeiter haben damals gekündigt. Die restlichen haben sich Zug um Zug eine neue Arbeitswelt erobert – sie schufen Möglichkeiten zum freien und flexiblen Arbeiten, mit Multifunktionszonen für Meetings, Vorträge und Partys und einem Nappingroom für die Mittagspausen. Parallel zu den neuen Gegebenheiten hat sich ganz automatisch auch ihre Arbeitsweise verändert.
Das Pop-Up-Office hat so auch viele Kunden inspiriert, die daraufhin ebenfalls Elemente von New Work in ihre Unternehmenswelt integrieren wollten. Die Agentur ist zwischenzeitlich erneut umgezogen und hat die besten Ideen aus ihrer Pop-Up-Phase mitgenommen. Für Jens Kenserski bietet das Thema noch immer Potenzial. Nach wie vor träumt er von der perfekten Arbeitskultur und stellt sich darunter zum Beispiel vor, dass jeder irgendwann genau dann arbeiten kann, wann es für ihn am besten passt. Es geht ihm nicht um Zukunftsvisionen. Vielmehr will er Arbeit in der Gegenwart immer besser gestalten und das schöne Leben nicht auf den Feierabend verschieben.
Jens Kenserski, Geschäftsführer pulsmacher GmbH / Bild: pulsmacher GmbH
„Mit dem Pop-Up-Office haben wir unseren Gründergeist wiederentdeckt und gleichzeitig unheimlich viel Neues darüber gelernt, wie wir gutes Arbeiten organisieren können. Dazu gehört für uns auch, regelmäßig Partner, Freunde, Kunden und andere interessante Menschen aus allen Lebensbereichen zu uns einzuladen, um Erfahrungen zu teilen und uns gegenseitig zu beflügeln. Perfekte Gastgeber zu sein, ist ein zentraler Bestandteil unserer DNA.“
In Zeiten, in denen wirtschaftliche Prozesse immer komplexer werden, dient die Unternehmenskultur als zentraler Orientierungsrahmen – davon ist Prof. Dr. Marcel Hülsbeck überzeugt. Der akademische Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen (WIFU) befasst sich in seiner Forschung unter anderem mit den Anforderungen der Wissensgesellschaft an neue Formen von Führung, Kooperation und Organisation. Im Gespräch mit ihm haben wir erfahren, dass Heldengeschichten in einem Unternehmen eine wichtige Rolle spielen und warum sich gerade junge Talente dafür außerordentlich interessieren.

Prof. Dr. Marcel Hülsbeck, Akademischer Direktor WIFU / Bild: Wittener Institut für Familienunternehmen (WIFU)
Talente: Herr Prof. Dr. Hülsbeck, in der Diskussion über Transformationsprozesse wird die Unternehmenskultur als wichtiger Erfolgsfaktor gesehen. Können Sie den Begriff für uns definieren?
Prof. Dr. Marcel Hülsbeck: Unternehmenskultur ist das implizite Wissen darüber, wie in einer Firma gearbeitet wird, wie die Menschen miteinander umgehen, was die Gemeinschaft vom einzelnen Mitarbeiter erwartet. Sie lässt sich schwer an etwas Konkretem festmachen. Dazu gehören die Riten und Rituale, aber auch die Heldengeschichten, die man sich im oder über ein Unternehmen erzählt. Zum Beispiel wie der alte Seniorchef noch durch sein Unternehmen gegangen ist, überall das Licht ausgeschaltet und jeden Bleistift aufgehoben hat. Solche Geschichten werden weitererzählt und vermitteln wichtige Werte, wie etwa „Wir gehen hier sorgsam mit Rohstoffen um“.
Sind diese alten Geschichten heute tatsächlich noch relevant, zum Beispiel für Bewerber auf der Suche nach ihrem ersten Arbeitgeber?
Gut ausgebildete junge Leute können heute im Prinzip überall arbeiten. Sie fragen sich deshalb: Wo möchte ich überhaupt arbeiten? Welches Unternehmen passt zu mir? Geschichten bieten ihnen wichtige Anhaltspunkte, was in einem Unternehmen wirklich zählt. Oft vermitteln sie auch den Sinn. Was hat den Gründer angetrieben? Warum gibt es ein Unternehmen überhaupt? Solche Fragen interessieren die jungen Menschen sehr und sind für Mittelständler und Familienunternehmen leichter zu vermitteln als für eine Aktiengesellschaft.
Sie betonen die besondere Bedeutung von Unternehmenskultur gerade in unserer digitalen Wissensgesellschaft, warum?
Firmen müssen ständig und hoch flexibel auf Veränderungen reagieren: auf neue Technologien, das Verhalten ihrer Konkurrenten, die Wünsche ihrer Kunden etc. Das meiste, was in Organisationen passiert, lässt sich nicht mehr in feste Verhaltensweisen und Regeln packen. Eine starke Unternehmenskultur dient deshalb als wichtiger Orientierungsrahmen in einer immer komplexer werdenden Welt. Sie bietet den Führungskräften und den Mitarbeitern Anhaltspunkte, an denen sie ihr Handeln ausrichten können.
Beeinflusst die Kultur eines Unternehmens auch dessen ökonomischen Erfolg?
Aus ökonomischer Sicht ist das Ziel von Unternehmenskultur, Effizienz zu steigern, Kommunikationskosten zu senken, Fehlerquoten zu verringern und einfach besser zu werden. Weil sich eben nicht jeder Einzelfall regeln lässt. Auf der Basis einer gemeinsamen Kultur können Mitarbeiter im Sinne des Unternehmens handeln, ohne dass sie ständig rückfragen müssen. Gerade weil die Folgen von Entscheidungen oft nicht mehr absehbar sind, brauchen die Menschen einen sicheren Rahmen und das Gefühl, auch Fehler machen zu dürfen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der psychologischen Sicherheit.
Was wünschen sich Mitarbeiter und speziell die jungen Generationen heute von einem attraktiven Arbeitgeber und wie können kleinere und mittlere Unternehmen dem gerecht werden?
Es gibt drei Faktoren, die immer wieder genannt werden: Die Arbeit soll sinnstiftend sein – ein Unternehmen muss deutlich machen, welchen Beitrag es und seine Produkte für die Gesellschaft leisten. Weiterhin wollen die Menschen selbstbestimmt arbeiten und mitgestalten, was, wann und wo sie arbeiten. Beides lässt sich in KMU gut umsetzen und vermitteln. Außerdem legen insbesondere die Nachwuchskräfte heute Wert darauf, dass sie in einem Job ihre persönlichen Stärken und Talente einbringen können. Für Mittelständler kann das zukünftig bedeuten, dass sie individuelle Arbeitspakete schnüren müssen, um gefragte Fachkräfte für sich zu gewinnen. In der Regel können sie jedoch auch vielfältigere Aufgaben und Projekte innerhalb desselben Jobs anbieten als Großbetriebe, in denen oft sehr spezialisierte Stellen ausgeschrieben werden.
In welche Richtung sollten mittelständische Betriebe ihre Unternehmenskultur weiterentwickeln, um attraktiv zu bleiben? Welche Trends spielen eine Rolle?
Ich halte nichts davon, hektisch irgendwelchen Trends hinterherzujagen und alle zwei Jahre anderen Management-Gurus zu folgen. Trends können wichtige Anhaltspunkte sein für die gezielte Weiterentwicklung einer Organisation. Bei der Kulturfrage geht es aber vor allem um die Geschichten, die einem Betrieb etwas bedeuten und die er über sich erzählen will. Sie sind es, die seine besondere DNA vermitteln, und mit den neuen Medien können wir sie heute viel schneller, facettenreicher und interessanter erzählen als früher.

Talente 2 / 2019, Grafik: WRS
People Analytics hilft dabei, Arbeitsbedingungen in der Zukunft noch besser auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter abzustimmen, davon ist Dr. Daniel Mühlbauer überzeugt. Datengestützte Personalarbeit kann nach seiner Erfahrung nicht nur entscheidend zu mehr Engagement und Zufriedenheit der Belegschaften führen, sondern auch zum Geschäftserfolg der Firmen beitragen. Er gilt als leidenschaftlicher Verfechter der intelligenten Datennutzung im HR und wird häufig als Evangelist in Sachen People Analytics bezeichnet. Wir wollten von ihm wissen, wie es auch kleineren Firmen gelingen kann, mit den Instrumenten der digitalen Datenanalyse eine Erfolgsgeschichte zu schreiben.
Talente: Herr Dr. Mühlbauer, KI und People Analytics sind zurzeit in aller Munde. Ist ihr Einsatz auch für KMU sinnvoll, obwohl diese naturgemäß nur über eine begrenzte Datenmenge verfügen?
Dr. Daniel Mühlbauer: Viele analytische Verfahren sind „datenhungrig“. People Analytics macht daher mit mehr Mitarbeitern natürlich auch mehr Sinn. Befragungen sind aber zum Beispiel auch für mittelständische Betriebe ab 250 Mitarbeitern geeignet – sie sind sehr flexibel und binden die Beschäftigten von Anfang an mit ein. Auch Fluktuationsanalysen sind gut möglich, wenn die Fälle über einen längeren Zeitraum dokumentiert wurden. Um die erforderlichen Fallzahlen zu erreichen, kann es sinnvoll sein, mehrere kleine Gruppen (z.B. Teams) zu einer größeren Analyseeinheit zusammenzufassen. So lassen sich auch mit kleineren Datenmengen gewinnbringende Erkenntnisse erzielen.
Selbst in größeren Unternehmen haben Personaler Berührungsängste, statistische Verfahren und digitale Daten als Grundlage für ihre Personalentscheidungen zu nutzen. Wie soll es gelingen, kleinere Firmen für People Analytics zu gewinnen?
Gerade weil bestimmte Analysemethoden für KMU weniger Sinn machen, brauchen die Entscheider Wissen darüber, welche Anwendungen für sie einen Nutzen bieten und zu ihren Rahmenbedingungen passen. Auf dem Markt tummeln sich viele Anbieter, die auch unnütze Anwendungen anbieten. Damit sich schnell Erfolge zeigen, sollten die ersten Gehversuche mit Bedacht gewählt und Kosten und Nutzen gut ausgelotet werden. Nur so lässt sich bei allen Beteiligten eine positive Einstellung gegenüber weiteren Analysen erreichen.
Sie weisen regelmäßig darauf hin, dass es das passende Mindset braucht, um People Analytics erfolgreich anzuwenden. Was meinen Sie damit konkret?
Geschäftsführung, Führungskräfte und Mitarbeiter müssen die Bereitschaft mitbringen, den Daten und Fakten auch Glauben zu schenken. Das fängt damit an, dass transparent gemacht wird, welche Daten zu welchem Zweck analysiert werden. Wichtig ist auch zu verstehen, wie die Daten aufgebaut sind und wie die Analysen funktionieren. Nur dann werden alle Beteiligten die Schlussfolgerungen auch akzeptieren, die sich aus der Datenanalyse ergeben. Es kann durchaus passieren, dass ursprüngliche Hypothesen auf den Kopf gestellt werden. Wenn man beispielsweise davon ausgegangen ist, dass schlechte Führungsarbeit der Hauptgrund für eine hohe Fluktuation sei, und die Ergebnisse deutlich machen, dass es stattdessen an einer zu schlechten Bezahlung liegt.
Auf Ihrer Webseite weisen Sie darauf hin, dass es bestimmte Voraussetzungen braucht, um People Analytics erfolgreich einzusetzen. Welche sind das?
Der Einsatz von KI im Personalmanagement ist ein sensibles Thema und bedeutet eine große Verantwortung für alle Beteiligten. Wir haben deshalb eine Charta entwickelt, in der wir uns zu bestimmten Grundwerten verpflichten und verbindlich zusagen, dass wir mit den uns anvertrauten Daten seriös umgehen. Wir legen Wert auf die Qualitätssicherung durch einen wissenschaftlichen Ansatz sowie auf Eigenständigkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Wichtig ist uns zudem, dass ein Mehrwert für das jeweilige Unternehmen entsteht und Datenschutz, aber auch die Datensicherheit gewährleistet sind. Nicht zuletzt befähigen wir zur Nutzung von People Analytics in unserer Software sowie durch Schulungen und Workshops. Vergleichbare Richtlinien würde ich allen Unternehmen ans Herz legen, die mit Datenanalysen im Personalwesen zu tun haben.
Welche Empfehlung geben Sie Personalern in KMU, die neu ins Thema einsteigen wollen?
Dr. Daniel Mühlbauer, functionHR GmbH, Gründer und Geschäftsführer, Foto: functionHR GmbH
Zunächst ist es für alle Personalexperten wichtig, selbstbewusst zu sein und sich klarzumachen, dass sie mit ihren Kompetenzen einen bedeutenden Beitrag für den Erfolg des Unternehmens leisten, der ohne motivierte und engagierte Mitarbeiter nicht möglich wäre. Praktisch geht es dann darum, sich ein gewisses Grundwissen über Künstliche Intelligenz, Daten und Statistik anzueignen, und zu Beginn eine saubere Fragestellung zu formulieren, die auf den Punkt bringt, welches Problem das Unternehmen mit einer Analyse lösen will. Denn nur so kann die Technologie auch effizient und gewinnbringend eingesetzt werden. Die Fragen geben dann auch den Rahmen vor, welche Daten gebraucht werden. Es gilt das Gebot der Datensparsamkeit, deshalb sollte immer der kleinstmögliche Datensatz genommen werden, mit dem sich das jeweilige Anliegen bearbeiten lässt.
Weitere Informationen zum Interviewpartner und dem Unternehmen unter www.functionhr.de

Talente 2 / 2019, Grafik: WRS
Wie kann es durch den Einsatz neuer Technologien und KI noch besser gelingen, Talente zu gewinnen, zu fördern und im Unternehmen zu halten? Vielfältige Erfahrungen damit gesammelt hat bereits Sven Semet, der bei der IBM für Talentmanagement-Strategien und innovative HR-Lösungen verantwortlich ist. Der gelernte Informatiker mit Berufspraxis als HR-Business-Partner ist davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz (KI) künftig als „Kollege“ der Personaler in vielen HR-Bereichen Einzug halten und beispielsweise die Kommunikation mit Bewerbern und Mitarbeitern wesentlich effizienter und serviceorientierter gestalten wird. Wir wollten von ihm wissen, wie sich Personalentscheidungen durch intelligente Daten künftig verändern werden und welche ethischen Fragen damit verbunden sind.
Talente: Herr Semet, Sie vertreten die Auffassung, dass mit den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz offene Stellen besser und gerechter besetzt werden können als durch klassisches Recruiting. Sind Roboter die besseren Personaler?
Sven Semet: Roboter können Recruiting-Prozesse beschleunigen und auch qualitativ besser machen. KI-Systeme lernen aus den Daten der vergangenen Bewerbungsprozesse und ziehen daraus ihre Schlüsse. Indem man zusätzlich bestimmte Kriterien vorgibt, suchen sie beispielsweise gezielt nach Personen, die zur Unternehmenskultur passen. Durch das Eliminieren von Kategorien, wie der Religion oder dem Alter, kann zudem vermieden werden, dass sie gängigen Vorurteilen folgen. Sie treffen Personalentscheidungen auf Faktenbasis, aber nicht alleine, sondern im Austausch mit den HR-Experten, deren Feedback sie in künftige Empfehlungen miteinbeziehen. Indem sie ihnen die Vorauswahl der Kandidaten abnehmen und auch die Routinekommunikation mit den Bewerbern steuern können, entlasten die Roboter die Personaler ganz maßgeblich.
Ändern sich dadurch die Rolle der Personaler und die Anforderungen an ihre Kompetenzen?
Digitales Know-how wird auch im HR zu einem zentralen Anforderungskriterium werden. Personalverantwortliche brauchen heutzutage Datenkompetenz, ein Verständnis für die angewandten Algorithmen und vor allem die Fähigkeit, die Vorschläge der KI einzuordnen, zu hinterfragen und zu bewerten. Nur wenn sie verstehen, warum das System eine bestimmte Personalentscheidung vorschlägt, können sie darauf Einfluss nehmen. Gleichzeitig bekommen die Personaler durch ihre KI-Assistenzsysteme mehr Zeit, sich beispielsweise mit strategischen Fragen auseinanderzusetzen, und können dadurch auch ihren Stellenwert im Unternehmen stärken.
Die IBM nutzt bereits digitale Assistenten auf ihrer Karriereseite. In der aktuellen Social-Media-Personalmarketing-Studie der Hochschule Rhein-Main wird jedoch deutlich, dass die meisten Bewerber dem Robot-Recruiting insgesamt noch sehr skeptisch gegenüberstehen. Welche Erfahrungen machen Sie damit?
Auf unserer Karriereseite können Bewerber ihre Lebensläufe hochladen und anschließend mit unserem Karriere-Chatbot kommunizieren. Bereits nach 10 bis 15 Fragen zu ihrer Person werden ihnen passende Positionen angeboten. Zudem können die Kandidaten selbst auch Fragen stellen. Die Chance, dass sich ein Bewerber auf eine ihm angebotene Stelle bewirbt, liegt aktuell bei über 90 Prozent. Persönlichen Kontakt gibt es ja nach wie vor, sobald die Bewerbungsgespräche starten. Im Bereich Personalisiertes Lernen nutzen wir ebenfalls einen intelligenten Assistenten, der individuelle Karriereempfehlungen gibt, Entwicklungsschritte simuliert und den Qualifizierungsbedarf für gewünschte Entwicklungen aufzeigt. Auch hier werden die empfohlenen Angebote von den Mitarbeitern sehr gut angenommen. In der Zukunft könnten rund 90 Prozent der Routinedialoge über solche Chatbots abgewickelt werden.
Um die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz auszuschöpfen, braucht es umfangreiche persönliche Daten der Mitarbeiter. Müssen diese nicht befürchten, vollständig überwacht zu werden und im schlimmsten Falle Nachteile aus der Datenanalyse zu erleiden?
Sven Semet, IBM Deutschland GmbH, HR Thought Leader Watson Talent & Member of IBM Corporate Service Corps, Foto: Sven Semet
Es ist sehr verständlich, dass mit der Nutzung persönlicher Daten manche Ängste verbunden sind. Transparenz und Vertrauen zum Arbeitgeber sind deshalb enorm wichtig. Die Mitarbeiter müssen wissen, welche Daten zu welchem Zweck erhoben und analysiert werden, und sich jederzeit darauf verlassen können, dass die persönlichen Daten nicht gegen ihre Interessen verwendet werden. In Deutschland geht jede Software automatisch durch die Mitbestimmung. Geregelt werden Zweck und Umfang der Datennutzung und auch, in welcher Form die Betriebsräte Einblick in die Datenauswertungen bekommen. Ich empfehle immer, dass die Mitarbeiter über den Betriebsrat und Datenschutzbeauftragte möglichst frühzeitig in die Konzepte für eine intelligente Datennutzung einbezogen werden. Bei People Analytics spielen darüber hinaus auch ethische Fragen eine wichtige Rolle. Gemeinsam mit verschiedenen Verbänden, so auch die Deutsche Gesellschaft für Personalführung (DGFP) oder das Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik, beschäftigen wir uns mit dem Thema und arbeiten deshalb aktuell unter anderem an Leitlinien zur Implementierung von People-Analytics-Projekten in Unternehmen.

Talente 2 / 2019, Grafik: WRS
Künstliche Intelligenz (KI) macht Personalarbeit und die Arbeitswelt besser – dessen sind sich viele Personalverantwortliche sicher. Sie entlastet von Routinetätigkeiten und unterstützt dabei, die richtigen Mitarbeiter zu rekrutieren und sie individueller zu betreuen und zu fördern. Experten warnen jedoch auch vor Datenmissbrauch und Fehlern der lernenden Maschinen. Unbestritten ist dagegen, dass Personaler fundiertes Wissen zu maschinellem Lernen und den Möglichkeiten und Grenzen intelligenter Anwendungen brauchen. Denn nur so können sie seriös beurteilen, wo KI ihren Betrieben und Belegschaften wirklich nützt und auch, was nicht zur Firmenkultur und den jeweiligen Rahmenbedingungen passt.
Viele große Unternehmen haben bereits KI-basierte Recruitinglösungen im Einsatz und nutzen intelligente Programme auch für die Personalentwicklung und -bindung. Zu den Befürwortern und Pionieren der Künstlichen Intelligenz im Human-Resource-Management (HRM) gehören die Personalvorstände Stefan Ries von SAP und Norbert Janzen von IBM. In der Februarausgabe des Personalmagazins plädieren sie dafür, dass sich jeder Personalverantwortliche mit KI Beschäftigen und fundiertes Know-how dazu aneignen sollte. Die meisten Personaler kleinerer und mittelständischer Firmen (KMU) betrachten KI-Anwendungen dagegen noch mit großer Skepsis. Sie bezweifeln deren Nutzen und fragen sich, ob sie in ihren Betrieben überhaupt die dafür notwendige Datenbasis haben. Bleiben die Vorteile intelligenter Software also nur den Großen vorbehalten oder macht der Einsatz solcher Systeme auch für die Personalarbeit von Mittelständlern einen Sinn?
Intelligente Softwareprogramme sind Fachidioten
Die Antwort darauf beginnt mit einer Begriffsbestimmung: Was ist Künstliche Intelligenz überhaupt? Die Suche im Netz listet unzählige Definitionen auf – zusammengefasst beschreibt KI den Versuch, menschliches Lernen, Urteilen und Problemlösen in Form von Softwareprogrammen nachzubauen. Kennzeichnend für intelligente Systeme ist, dass sie große Datenmengen sehr schnell lesen, darin Muster erkennen und kategorisieren können. Anschließend sind sie imstande, daraus Hypothesen abzuleiten. Beispielsweise können intelligente Roboter eingehende Bewerbungen analysieren und daraus Kandidaten für die Vorstellungsgespräche empfehlen. Solche KI-Lösungen sind in der Lage, aus historischen Daten und Erfahrungen selbstständig dazuzulernen und so nach und nach ihre Aufgaben immer besser zu erfüllen. Diese Fähigkeit bezeichnet man als Maschinelles Lernen oder Deep Learning.
Die Softwareprogramme sollten dazu auch mit menschlichen Experten interagieren und deren Feedback berücksichtigen. Der Recruiting-Roboter, der beispielsweise mehrere Kandidaten für eine Stelle vorgeschlagen hat, kann die letztendliche Einstellungsentscheidung der Personalverantwortlichen bei künftigen Matching-Prozessen berücksichtigen und dadurch immer bessere Empfehlungen geben.

Grafik: Drei Kerneigenschaften von KI-Systemen, angelehnt an Grafik von IBM
Die Fachwelt unterscheidet zwischen starker und schwacher KI. Letztere beschreibt Programme, die eine ganz spezielle Aufgabe haben und ausschließlich für diese trainiert wurden. Sie beherrschen es dann beispielsweise, ein Arbeitszeugnis zu erstellen, ein autonomes Auto zu fahren oder eben Bewerber auf eine Stellenbeschreibung zu matchen. Bei jeder anderen Aufgabe würden sie allerdings scheitern. Starke KI hingegen kann über verschiedene Systeme hinweg agieren, abstrahieren und selbstständig dazulernen – solche Anwendungen gibt es heute aber in der Praxis noch gar nicht.
Erste Ansätze von Künstlicher Intelligenz existieren schon seit den 50er-Jahren. Bereits damals versuchten Forscher nachzubauen, wie Menschen lernen. Aufgrund fehlender Rechenpower gelang ihnen dies allerdings lange Zeit nur mit mäßigem Erfolg. Seit einiger Zeit sind nun nicht nur die erforderliche Rechnerleistung, sondern außerdem enorme Speicherkapazitäten und die notwendigen Datenübertragungsraten vorhanden. KI hält deshalb gegenwärtig Einzug in immer mehr Prozesse. Im Personalwesen kommen intelligente Programme heute in fast allen Bereichen zum Einsatz.
KI übernimmt die Routinetätigkeiten beim Recruiting

Grafik: WRS
Beim Recruiting unterstützen sie die Personalverantwortlichen dabei, passende Talente für eine offene Stelle oder ein Projekt zu finden, und schaffen es, den Bewerbungs- und Auswahlprozess für beide Seiten schneller und erfolgreicher zu machen. Digitale Kommunikationsassistenten, sogenannte Chatbots, übernehmen einen Teil der Interaktion mit den Bewerbern und überprüfen auf der Basis ihrer Algorithmen aus Bewerbungsunterlagen und Social-Media-Aktivitäten die Eignung der Kandidaten für eine Stelle. Darüber hinaus bieten sie den Bewerbern unaufgefordert auch andere im Unternehmen vakante Stellen an. Nicht selten schlagen die Roboter auch Jobs vor, auf die die Interessenten von sich aus gar nicht gekommen wären, und eröffnen ihnen dadurch unerwartete Perspektiven. Für das Unternehmen wiederum erhöhen sich so die Chancen auf eine Stellenbesetzung.
Auch die Mitarbeiterentwicklung wird durch intelligente Programme erleichtert
Wenn aus den Bewerbern Mitarbeiter geworden sind, unterstützen KI-Systeme auch dabei, die neuen Kollegen gezielt zu coachen und zu entwickeln. Einige große Firmen nutzen bereits KI-basierte Karriereassistenten, die jeden ihrer Mitarbeiter ganz individuell fördern und ihn auf der Basis seiner Rollen, Aufgaben und Interessen regelmäßig auf passende Weiterbildungsmöglichkeiten und persönliche Vernetzungsmöglichkeiten hinweisen. Hat ein Arbeitnehmer schon einen konkreten Karriereweg im Blick, können die KI-Systeme diesen simulieren und darauf aufbauend konkrete Lernempfehlungen aussprechen. Dazu greifen die Chatbots auf die Angebote interner Akademien zurück und werden künftig auch externe Lernangebote aus dem Netz einbeziehen können.
Karriere-Chatbots leisten einen Beitrag zur Bindung der Mitarbeiter

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Gleichzeitig entstehen durch Künstliche Intelligenz auch neue Möglichkeiten, Mitarbeiter langfristig ans Unternehmen zu binden. Wurden HR-Maßnahmen bisher oft nach dem Gießkannenprinzip angeboten, ermöglichen KI-basierte Analysen heute, viel besser auf die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten einzugehen. Während sich der eine Mitarbeiter flexible Arbeitszeiten wünscht, ist seine Kollegin vielleicht mehr an einer Weiterbildung interessiert, und andere Teammitglieder brauchen Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge. Ein Karriere-Chatbot kann aus der Fülle der möglichen Personalleistungen blitzschnell das Richtige anbieten. Auf der Basis intelligenter Daten können sich auch die Führungskräfte besser weiterentwickeln und dadurch für zufriedene und loyale Mitarbeiter sorgen. Google hat diese Möglichkeit als erstes Unternehmen erkannt: In seiner Führungsstudie „Oxygen“ untersuchte das Unternehmen bereits 2008 anhand aller gesammelten Mitarbeiterfeedbacks, was eine gute Führungskraft in einem Technologieunternehmen ausmacht. Das Ergebnis war ein Katalog mit acht zentralen Führungseigenschaften, einem internen Trainingsprogramm und einer Sammlung repräsentativer Mitarbeiter-Statements, der fortan einen Orientierungsrahmen für eine gute Führungskultur bot.
People Analytics liefert wertvolle Erkenntnisse für die Unternehmensstrategie
Unter dem Schlagwort People Analytics wird diese Art der systematischen Analyse und Auswertung von Daten aus dem Personalwesen in Verbindung mit anderen Unternehmensdaten mithilfe von KI gegenwärtig lebhaft, aber auch kritisch diskutiert. Bei der täglichen Personalarbeit fallen vielfältige Informationen zum Verhalten, der Einstellung und der Kommunikation der Beschäftigten an, die in den Betrieben meist unstrukturiert und in vielen verschiedenen Formaten vorliegen. Neben den klassischen Personalstammdaten gehören dazu die typischen Personalkennzahlen, aber auch Informationen über die persönlichen Verhältnisse der Mitarbeiter, Ergebnisse von Befragungen oder Kommunikationsdaten wie E-Mails, Beiträge im Intranet oder in den sozialen Medien. Mit den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz haben die Personalverantwortlichen heute die Chance, diese Daten sinnvoll zu strukturieren, Entwicklungen zu simulieren und daraus wertvolle Schlüsse zu ziehen. People Analytics macht die Personaler dadurch auch zu wichtigen strategischen Partnern ihrer Führungskräfte und der Geschäftsführungen.
Der Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz sowie der Umgang mit Daten birgt zweifelsohne große Potenziale. Dennoch ist People Analytics auch ein hochsensibles Thema, bei dem es um sehr persönliche Daten aus dem Arbeitsleben der Menschen geht. Besonders in Deutschland achten Gesetzgeber, Gewerkschaften und Betriebsräte deshalb sehr genau auf den Umgang mit solchen Informationen und ziehen harte Grenzen. Grundlage ist die aktuelle Datenschutzgrundverordnung, die beim Umgang mit personenbezogenen Daten die Zustimmung der Mitarbeiter oder ihrer Vertretung vorschreibt und die Datennutzung auf die vorgesehenen Zwecke begrenzt.
KI ist kein Spiel ohne Grenzen
KI-Systeme sollten nicht nur gesetzestreu, sondern auch transparent, gerecht und sicher arbeiten. Neben den gesetzlichen braucht es deshalb ethische Richtlinien, an denen die neuen Technologien gemessen werden. Diesbezüglich haben insbesondere die Mitarbeiter viele Vorbehalte – nicht wenige sorgen sich darüber, dass künftig ein Algorithmus selbstständig entscheidet, ob sie befördert werden oder mehr Gehalt bekommen. In einigen Firmen wurde deshalb bereits ein eigener Ethikkodex zu HR Analytics erarbeitet. Das Thema ist auch von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Die Bundesregierung hat eine Datenethikkommission eingesetzt, die bis zum Herbst 2019 Handlungsempfehlungen und Regulierungsmöglichkeiten zum Umgang mit Algorithmen, Künstlicher Intelligenz und digitalen Innovationen aufzeigen soll.
Auch KMU können von KI-Anwendungen profitieren

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Werden KI und People Analytics auf der Grundlage seriöser Rahmenbedingungen angewendet, bieten sie die Chance, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem jeder Einzelne sein volles Potenzial ausschöpfen kann. Mithilfe der neuen Technologien können Personalverantwortliche die richtigen Stellhebel für ein effizientes und erfolgreiches Personalmanagement identifizieren, zielführende Maßnahmen ableiten und ihren strategischen Beitrag zum Unternehmenserfolg messbar machen. Um die vielfältigen Möglichkeiten ausschöpfen zu können, müssen sie ihr Profil jedoch um neue Kompetenzen erweitern. Sie brauchen nicht nur psychologische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse, sondern auch ein grundlegendes Technologieverständnis, das Statistik- und Datenkompetenz mit einschließt.
Die Entwicklung von KI-Lösungen wird in den kommenden Jahren rasant fortschreiten und maßgeblich Einfluss auf das Personalmanagement nehmen. Die daraus resultierenden Chancen dürfen sich auch kleinere Unternehmen nicht entgehen lassen. Sie sollten sich deshalb ebenfalls Wissen und Praxiserfahrung zu den neuen Technologien aneignen, auch weil sie sonst im Wettbewerb um begehrte Fachkräfte irgendwann uneinholbar abgehängt werden. Gelegenheit dazu bieten beispielsweise Fachkongresse, auf denen die Pionierunternehmen ihre Konzepte präsentieren. Das bedeutet allerdings nicht, einfach nachzuahmen, was die großen Konzerne machen, denn vieles davon passt gar nicht zu den Rahmenbedingungen von KMU. Sie können stattdessen ihren ganz eigenen Weg finden – am besten über einen Einstieg in kleinen Schritten.
Dafür geeignet sind beispielsweise Mitarbeiterbefragungen, die durch ein intelligentes Programm ausgewertet werden. Lassen sich dadurch die Arbeitsbedingungen für die Belegschaft nachweislich verbessern, entsteht ein positives Klima für weitere Analysen. So gelingt es, das Thema nach und nach zu erschließen, und die verantwortlichen Personaler können bei künftigen Entscheidungen nicht nur auf ihr Bauchgefühl vertrauen, sondern auch auf eine objektive Faktenlage zählen. Das macht ihre Arbeit präziser, effizienter und dadurch erfolgreicher – und davon wiederum profitieren Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen.
Wie viele IT-Unternehmen, steht der Telematik-Spezialist mm-lab auf dem Arbeitsmarkt in einem harten Wettbewerb. Um mehr und bessere Bewerbungen zu bekommen, hat er deshalb vor einigen Jahren damit begonnen, auch im Ausland nach Fachkräften zu suchen. Erste Erfahrungen sammelte das Unternehmen mit spanischen Ingenieuren. Heute beschäftigt es 42 hoch qualifizierte Spezialisten aus acht verschiedenen Nationen und profitiert nicht nur von deren fachlichen Qualitäten, sondern auch von den vielfältigen persönlichen Stärken.

Grafik: WRS/Projektgruppe
Die mm-lab GmbH hat sich auf Telematik-Lösungen und -Dienstleistungen rund ums Automobil spezialisiert. Das Kornwestheimer Unternehmen unterstützt beispielsweise Automobilzulieferer und -hersteller bei der Automatisierung von Fahrzeugtests und beim Management der Testgelände. Zum Team gehören Softwareentwickler, Informatiker, Elektroingenieure und Nachrichtentechniker. Schon seit Längerem suchte der Telematik-Spezialist nach neuen Wegen, um zusätzliche IT-Experten für sich zu gewinnen.
Ausländische Mitarbeiter werben weitere Landsleute an
Erste Erfahrungen mit ausländischen Fachkräften sammelte er 2011 durch seine Beteiligung an der „Aktion Nikolaus“, einem Pilotprojekt zur Anwerbung spanischer Ingenieure der Fachkräfteallianz Region Stuttgart. Damals erhielt der Geschäftsführer Dr. Andreas Streit rund 30 interessante Profile, aus denen er einen passenden Fachmann auswählte. Dass über die persönlichen Kontakte des Spaniers nach und nach weitere seiner Landsleute ins Unternehmen kamen, war ein unerwarteter Bonus. Seither hat mm-lab die Rekrutierung ausländischer Mitarbeiter konsequent ausgebaut und nimmt dazu auch immer wieder an Projekten teil. Gegenwärtig gehören Fachkräfte aus Italien, Ungarn, Indien, Bangladesch, Pakistan, Honduras, Iran und Palästina zur Belegschaft.
Dr. Andreas Streit, Geschäftsführer, mm-lab GmbH, Kornwestheim (Foto: WRS/Verena Andrei)
„Welche Abschlüsse die ausländischen Beschäftigten mitbringen, ist für uns nicht primär entscheidend: Wir schauen vielmehr darauf, was jemand fachlich kann und ob es auch menschlich passt. Unsere Mitarbeiter sollten sich für Technik begeistern, in der Softwareentwicklung fit sein sowie Software und Hardware integrieren können. Alles Weitere können sie bei uns lernen.“
Um die fachliche Expertise realistisch einzuschätzen, helfen Andreas Streit detaillierte Fragen zu den bisherigen Projekten der Bewerber. Die Vorstellungsgespräche finden üblicherweise per Skype statt, und wenn möglich, nimmt ein im Fachgebiet versierter Kollege daran teil. Ob es auf der persönlichen Ebene passt, ist für den Diplomphysiker vor allem ein Bauchgefühl. Er legt allerdings ausdrücklich Wert darauf, die Erwartungshaltungen beider Seiten gut abzuklären. Der entscheidende Praxistest findet dann letztendlich in der Probezeit statt.
Seit 2017 wird der Geschäftsführer beim Recruiting von Jutta Kohlmann unterstützt. Die Personalfachwirtin kümmert sich mit sehr viel Einsatz und Herzblut um alle ausländischen Neuankömmlinge. „Für EU-Bürger ist der Start in Deutschland eher unkompliziert. Neue Kollegen aus Drittländern brauchen dagegen sehr viel mehr Betreuung“, berichtet sie aus inzwischen vielfacher Erfahrung.
In der Anfangszeit zu unterstützen, ist besonders wichtig
Eine indische Softwareentwicklerin war eine der ersten Ausländerinnen, deren Einstieg Jutta Kohlmann begleitet hat. Nachdem die Zusammenarbeit feststand, dauerte es zwei Monate, bis diese einen Termin bei der deutschen Botschaft bekam, um ihr Visum zu beantragen. Währenddessen arbeitete die Personalreferentin bereits auf Hochtouren, um die aufwendigen formalen Voraussetzungen für die Beschäftigung der neuen Kollegin zu schaffen.
Jutta Kohlmann, Personalreferentin, mm-lab GmbH, Kornwestheim (Foto: mm-lab)
„Zur Visaerteilung muss ein unterschriebener Arbeitsvertrag vorliegen und eine Wohnadresse nachgewiesen werden. Um einen guten Einstieg zu gewährleisten, zahlen wir den Flug, notwendige Sprachkurse sowie die Miete der ersten drei Monate. Eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis ist für unsere IT-Spezialisten meist leicht zu bewerkstelligen, da sie normalerweise alle Voraussetzungen für eine Blue Card erfüllen.“
In Deutschland eingetroffen, ging es vor allem darum, die indische Kollegin willkommen zu heißen und schrittweise an die neuen Gegebenheiten heranzuführen. Bei mm-lab läuft das alles sehr persönlich ab und beginnt damit, dass Jutta Kohlmann die Neuankömmlinge am Flughafen abholt und in die angemietete Wohnung bringt. In der darauffolgenden Zeit kümmerte sich die Personalreferentin darum, die neue Mitarbeiterin in den Kollegenkreis einzuführen und half außerdem dabei mit, das private Leben in Deutschland zu organisieren. Die regelmäßigen Deutschkurse in der Firma durch eine Kollegin sind eine weitere Unterstützung, damit sich die ausländischen Beschäftigten möglichst schnell zurechtfinden. Sowohl die finanziellen Investitionen des Unternehmens als auch die offene und interkulturelle Unternehmenskultur zahlen sich aus, das macht das Beispiel der indischen Kollegin sehr deutlich: Bereits im ersten Jahr bei mm-lab übernahm sie die Aufgaben des Scrum Masters im Team – die damit verbundenen Reviews hält sie mittlerweile teilweise auf Deutsch ab.
Seit Anfang 2016 ist Filippos Tsaridis bei der Lorenz Elektrotechnik GmbH beschäftigt. Für den griechischen Elektrofachmann ist sein deutscher Arbeitgeber ein Glücksfall. Er hat in dem Familienbetrieb nicht nur einen attraktiven Arbeitsplatz und nette Kollegen gefunden, sondern auch eine Chefin, die ihn in seiner Entwicklung fördert und ihm aktiv dabei hilft, dass seine berufliche Qualifikation in Deutschland anerkannt wird.

Quelle: WRS/Projektgruppe
Fast ein Jahr lang ist Filippos Tsaridis auf der Suche nach einer Arbeitsstelle in der Region, bevor er zu Lorenz Elektrotechnik in Musberg kommt. Eine Bekannte hat ihn der Firmenchefin Petra Lorenz empfohlen, die zu dieser Zeit verzweifelt nach zusätzlichen Mitarbeitern sucht. Der Familienbetrieb plant und realisiert anspruchsvolle Elektroninstallationen für betriebliche und private Kunden. Er ist ISO-zertifiziert und setzt auf hohe Qualitätsstandards. „Gut ausgebildete Fachleute sind für uns schon immer die wichtigste Ressource“, erläutert die Enkelin des Firmengründers, die den Betrieb in der dritten Generation führt.
Sie lädt den griechischen Elektrofachmann deshalb umgehend zu einem Vorstellungsgespräch ein. Beim anschließenden Probearbeiten hinterlässt Filippos Tsaridis einen so guten Eindruck, dass die Unterschrift unter den Arbeitsvertrag danach nur noch Formsache ist. Der Start im Unternehmen fällt dem Griechen leicht, denn er wird sehr herzlich aufgenommen. Die praktische Arbeit läuft in Deutschland nicht grundlegend anders als in seiner Heimat und die Projektverantwortlichen binden ihn sofort in die laufenden Aufträge ein. Dass in dem zertifizierten Betrieb vieles schriftlich dokumentiert wird, ist allerdings eine Herausforderung. Er kann sich zwar ganz gut auf Deutsch verständigen, aber die Fachbegriffe bereiten ihm anfangs Schwierigkeiten. Auch die deutschen Sicherheitsvorschriften und Verordnungen hat er zwangsläufig nicht parat.
Petra Lorenz, Geschäftsführerin (Foto: WRS/Verena Andrei)
„Für mich ist der Nutzen einer beruflichen Anerkennung unbestritten, denn sie bringt sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Mitarbeiter selbst Sicherheit darüber, dass er sein Metier beherrscht. Technologische Entwicklungen machen in unserer Branche auch immer wieder neue Zusatzqualifikationen erforderlich, für die ein anerkannter Abschluss vorausgesetzt wird. Wünschen würde ich mir allerdings, dass es im Anerkennungsprozess mehr Standards gäbe und auch die Nachqualifizierung Beschäftigter finanziell gefördert würde.“
Ohne anerkannten Abschluss ist ein Mitarbeiter nur begrenzt einsetzbar
„Dass wir Filippos deshalb nicht sofort als vollwertige Fachkraft einsetzen können würden, war uns bewusst“, so Petra Lorenz. Bestimmte Aufgaben dürfen im Elektrohandwerk nur mit einem anerkannten Abschluss bzw. den entsprechenden Sicherheitsschulungen ausgeführt werden. Die Unternehmerin bestärkt ihren neuen Mitarbeiter deshalb darin, sich die Gleichwertigkeit seiner Qualifikation offiziell bestätigen zu lassen. Seit 2012 gibt es für ausländische Fachkräfte einen grundsätzlichen Rechtsanspruch auf ein entsprechendes Verfahren. Weil er sich davon auch bessere Entwicklungsmöglichkeiten verspricht, geht Filippos Tsaridis auf den Vorschlag seiner Chefin ein.
Um den Prozess zu starten, muss er Unterlagen auf Deutsch vorlegen, die die Inhalte seiner Ausbildung in Griechenland dokumentieren. Es gibt zunächst ein Missverständnis darüber, welche Dokumente genau erforderlich sind und wer für die Übersetzung verantwortlich ist. Das führt dazu, dass sich das Verfahren zu Beginn verzögert. Mit Unterstützung seiner Chefin kann der griechische Handwerker schließlich alle wichtigen Unterlagen bei der Handwerkskammer einreichen. Zur Bewertung seiner Qualifikation wird er zusätzlich zu einem Gespräch ins Elektro Technologie Zentrum Stuttgart (ETZ) eingeladen.
Fehlende Kenntnisse können nachqualifiziert werden
Nach einigen Wochen kommt ein Schreiben, in dem aufgelistet ist, welche Kenntnisse er sich zusätzlich aneignen muss, um die Kriterien der deutschen Gesellenprüfungsordnung zu erfüllen. Auch geeignete Kurse am ETZ werden dafür empfohlen. Bis er dann tatsächlich mit den Schulungen starten kann, sind seit der Antragstellung fast eineinhalb Jahre vergangen. Sein Arbeitgeber übernimmt die Kosten der Nachqualifizierung und stellt ihn die Hälfte der Zeit dafür frei, für den Rest nimmt er Urlaub. Ab dem kommenden Jahr können solche Kurse von der Kammer gefördert werden. Filippos Tsaridis hat die erforderlichen Schulungen Anfang 2019 abgeschlossen und erfüllt damit alle Voraussetzungen, um als anerkannter Elektroniker Energie- und Gebäudetechnik arbeiten zu können.
Filippos Tsaridis, Facharbeiter Elektrotechnik, LORENZ Elektrotechnik GmbH, Leinfelden-Echterdingen (Foto: WRS/Verena Andrei)
„Obwohl es einiges an Zeit, Energie und Geld gekostet hat, bin ich sehr froh darüber, dass ich die Anerkennung beantragt habe. Mit dem endgültigen Bescheid verfüge ich über eine sehr gute Grundlage für meine berufliche Zukunft. Ich kann mir gut vorstellen, irgendwann den Meisterabschluss zu machen. Bei der Nachqualifizierung habe ich außerdem noch einiges dazugelernt, was ich in der Praxis gut gebrauchen kann.“
Dr. Verena Andrei beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Gewinnung und Integration von ausländischen Fachkräften für den deutschen Arbeitsmarkt. Bevor sie 2014 die Leitung des Welcome Service Region Stuttgart (WSRS) übernahm, koordinierte die Politikwissenschaftlerin für die Stadt Stuttgart verschiedene Projekte zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Heute gibt sie ihr Wissen an die Betriebe der Region Stuttgart weiter und erlebt dabei regelmäßig, welche Fragen diese auf der Suche nach passenden internationalen Mitarbeitern umtreibt. Auch kleinere Unternehmen ermutigt sie ausdrücklich zum Praxistest und verweist auf die vielfältigen Unterstützungsangebote, die erste Schritte erleichtern.

Dr. Verena Andrei, Leitung Welcome Service Region Stuttgart (Foto: Martin Lorenz)
Talente: Frau Dr. Andrei, besonders kleinere Arbeitgeber haben zunehmend Schwierigkeiten, auf dem deutschen Arbeitsmarkt passende Bewerber zu finden. Gleichzeitig schrecken sie davor zurück, internationale Arbeitskräfte zu rekrutieren. Was könnte die Unternehmen dazu motivieren?
Dr. Verena Andrei: Es gibt Wege, die auch für Kleinbetriebe mit relativ wenig Aufwand umsetzbar sind, denn viele ausländische Fachkräfte sind bereits in der Region. Um den Zugang zu diesen potenziellen Bewerbern im Inland zu ermöglichen, existiert eine Vielzahl von Unterstützungsangeboten. Der internationale Personalservice der Bundesagentur für Arbeit und spezielle Förderprojekte helfen wiederum bei der Rekrutierung im Ausland. Ermutigen können aber auch die unzähligen Mittelständler und Kleinbetriebe, beispielsweise in der Baubranche, in denen verschiedene Nationalitäten schon seit Jahren erfolgreich zusammenarbeiten.
Welche Schritte würden Sie einem Betrieb empfehlen, der bisher noch keine Erfahrungen mit ausländischen Mitarbeitern hat?
Für die meisten geht es darum, mutig zu sein und den ersten Schritt zu wagen. Die Firmen könnten klein anfangen und an einer Jobmesse für ausländische Fachkräfte teilnehmen, die der Welcome Service mitorganisiert. Mit wenig Aufwand verbunden wäre es auch, offene Stellen ans Welcome Center Stuttgart zu schicken, um sie so für die dort Rat suchenden Fachkräfte zugänglich zu machen. In der Region laufen außerdem verschiedene Qualifizierungsprojekte für Ausländer – beispielsweise für Bauingenieure. Unter den Teilnehmern können ebenfalls geeignete Bewerber sein. Interessierte Unternehmen können an den Absolvententagen teilnehmen oder sich die Profile der Teilnehmer zuschicken lassen.
Eine Sorge der Firmen sind mangelnde Sprachkenntnisse der Ausländer.
Für die Absolventen der Qualifizierungsprojekte lässt sich das ausschließen, denn daran kann nur teilnehmen, wer schon recht gut Deutsch spricht. In Stellenanzeigen könnten gewünschte Sprachkenntnisse als grundlegende Anforderung formuliert werden und so bereits die Bewerbungen entsprechend gefiltert werden. Bei vielen Rekrutierungsprojekten sind Sprachkurse automatisch Teil der Qualifizierungen. Es gibt auch zahlreiche Angebote zum Deutschlernen für Ausländer, die ganz oder teilweise vom Bund bezahlt werden. Und Betriebe mit mehreren ausländischen Fachkräften machen oft gute Erfahrungen damit, Sprachkurse intern zu organisieren.
Sie haben sich lange mit der Anerkennung ausländischer Abschlüsse beschäftigt. Den Personalverantwortlichen fällt es oft schwer, die Qualifizierung ausländischer Bewerber richtig einzuschätzen.
Bei staatlich reglementierten Berufen wie Ärzten, Erziehern oder Lehrern ist eine formelle Anerkennung der ausländischen Abschlüsse zwingend erforderlich, damit sie ihren Beruf hier ausüben dürfen. Drittstaatsangehörige benötigen außerdem bereits bei der Antragstellung für ein nationales Visum zur Beschäftigung den Nachweis über die Gleichwertigkeit ihres Hochschulabschlusses beziehungsweise die Anerkennung des Berufsabschlusses. Um eine Qualifikation richtig einzuschätzen, kann eine Anerkennung des beruflichen Abschlusses grundsätzlich helfen. Um die Expertise eines Bewerbers richtig einschätzen zu können, reicht es oft aber auch aus, ihm beim Vorstellungsgespräch gezielte Fachfragen zu stellen und sich zum Beispiel seine Rolle in erwähnten Projekten genauer beschreiben zu lassen. In manchen Branchen ist es außerdem üblich, Arbeitsproben einzufordern.
Was ist notwendig, damit ausländische Mitarbeiter erfolgreich und langfristig in ein Unternehmen integriert werden?
Wichtig ist, dass sowohl die Geschäftsführung als auch die Mitarbeiter eines Unternehmens ausländischen Fachkräften gegenüber offen sind. Auch sollte man die Belegschaft von Anfang an mit einbinden und gemeinsam mit ihr überlegen, wie man den ausländischen Kollegen den Start in Deutschland erleichtern kann. Dazu gehören ganz praktische Fragen wie das passende Kantinenessen, verständliche Formulare oder die Berücksichtigung religiöser Feiertage. Bewährt hat sich zudem, den Neuankömmlingen einen Mentor an die Seite zu stellen, der sie gerade am Anfang intensiv unterstützt und ein spezielles Augenmerk auf die Kommunikation legt. Und bei allem dürfen wir nicht vergessen: Es sind Menschen, die zu uns kommen, die neben ihrem Beruf auch noch eine Familie und ein privates Umfeld haben.

Grafik: WRS/Projektgruppe
Immer öfter müssen vor allem kleinere und mittelständische Firmen in der Region Aufträge ablehnen, weil ihnen das Personal dafür fehlt. Die Suche nach Mitarbeitern ist für sie zu einer strategischen Aufgabe geworden. Ein aussichtsreicher Weg dafür ist die Rekrutierung internationaler Fachkräfte. Viele Arbeitgeber befürchten jedoch einen zu hohen Aufwand und zweifeln daran, ob ausländische Mitarbeiter fachlich und persönlich zu ihnen passen. Solchen Risiken stehen jedoch wertvolle Chancen gegenüber. Denn Fachleute aus dem Ausland sorgen nicht nur für die notwendige Unterstützung, sondern auch für neue Sichtweisen und Lösungsansätze in den Betrieben.
Komplizierte und langwierige Einreisemodalitäten, fehlende Deutschkenntnisse und zu große kulturelle Unterschiede: Das sind die häufigsten Vorbehalte, die Personalverantwortliche davon abhalten, ausländische Mitarbeiter zu rekrutieren. Doch viele Fachkräfte mit ausländischen Wurzeln halten sich bereits in der Region Stuttgart auf.
Wer internationale Mitarbeiter sucht, muss nicht ins Ausland gehen
Dazu gehören zum Beispiel EU-Zuwanderer, die freizügig einreisen können, qualifizierte Kräfte aus sogenannten Drittstaaten, die die Kriterien der Blue Card erfüllen und Ausländer, die an den regionalen Hochschulen studieren. Diese Menschen sprechen oft schon gut Deutsch und sind in der Regel auch mit den Gepflogenheiten hier vertraut. Sie alle bilden ein großes Potenzial, das die regionalen Firmen mit überschaubarem Aufwand für sich erschließen können.
Will ein Arbeitgeber seinen Bewerberpool darüber hinaus noch erweitern, kann er die internationalen Fachkräfte außerdem direkt in ihren Heimatländern anwerben. Als unkomplizierten Einstieg bietet es sich an, offene Stellen im EURES-Netzwerk freischalten zu lassen, damit sie europaweit von Jobsuchenden gelesen werden können. Das gemeinsame Stellenportal der europäischen Arbeitsagenturen ist über den Arbeitgeberservice der Bundesagentur für Arbeit zugänglich.
Zusätzlich können Firmen selbst Stellenanzeigen im Ausland schalten. Die Jobprofile und möglichst auch die Firmen Webseite sollten dann allerdings auf Englisch vorliegen. Die Arbeitgeber müssen dazu auch wissen, in welchen Ländern es überhaupt Arbeitnehmer mit passenden Qualifikationen gibt. Sie benötigen außerdem Know-how über relevante ausländische Medien und die Rahmenbedingungen der jeweiligen Arbeitsmärkte.
Hilfreich sind deshalb Partner vor Ort, die in den verschiedenen Phasen des Recruitingprozesses unterstützen – beispielsweise private Headhunter, die Außenhandelskammern oder ausländische Hochschulen.
Weniger aufwendig ist es, bei einem der Rekrutierungsprojekte mitzumachen, die von der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung ZAV, den Kammern, Verbänden oder anderen Trägern organisiert werden. Es gibt sie für unterschiedliche Berufsgruppen, beispielsweise für Ärzte, Ingenieure oder technische Facharbeiter. Teilnehmende Firmen profitieren unter anderem durch eine systematische Vorauswahl mehrerer Bewerber, den Austausch mit anderen Betrieben und eine intensive Betreuung durch die Projektträger.
Bereits beschäftigte Mitarbeiter sind die besten Werbeträger
Ein weiterer vielversprechender Ansatz besteht darin, über bereits im Unternehmen beschäftigte Ausländer weitere Landsleute anzuwerben. Denn die ausländischen Arbeitnehmer verfügen meistens noch über sehr gute Netzwerke in ihre Heimatländer. Internationale Fachkräfte, die auf Empfehlung ihrer ehemaligen Studien- oder Berufskollegen nach Deutschland kommen, fassen meist schneller Fuß als andere, weil sie hier eine Bezugsperson haben. Durch den gemeinsamen Hintergrund der ausländischen Mitarbeiter können die Arbeitgeber zudem die Qualifikationen der Nachzügler leichter einschätzen.

Quelle: WRS
Zu den verschiedenen Rekrutierungswegen bietet der Welcome Service Region Stuttgart (WSRS) eine Erstberatung an und vermittelt zu geeigneten Projekten und den richtigen Ansprechpartnern weiter. Abhängig davon, aus welchem Land die potenziellen Arbeitskräfte kommen, müssen unterschiedliche Voraussetzungen für ihre Beschäftigung erfüllt sein:
Einreiseprozess / Visum
Arbeitnehmer aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EU sowie Island, Norwegen und Liechtenstein) brauchen kein Visum und keine Arbeitserlaubnis. Sie sind freizügig und deutschen Arbeitnehmern gleichgestellt. Fachkräfte aus Drittstaaten, die sich noch nicht in der Region befinden, brauchen dagegen eine Einreiseerlaubnis, ein sogenanntes „Nationales Visum“, das befristet und zweckgebunden ist. Ein solches Visum zum Zweck der Beschäftigung bzw. Ausbildung dient ausschließlich zur Einreise und ist deshalb vorher bei der deutschen Auslandsvertretung im Herkunftsland zu beantragen. Für die eigentliche Aufenthaltserlaubnis zur Beschäftigung müssen die Fachkräfte nach Ankunft bei der zuständigen Ausländerbehörde einen gesonderten Antrag stellen. Ausnahmeregelungen gelten für Staatsangehörige von Australien, Israel, Japan, Kanada, der Republik Korea, Neuseeland und den USA. Sie alle können ohne Visum nach Deutschland kommen und ihre Aufenthaltserlaubnis vor Ort beantragen.
Je nach Qualifikation existieren verschiedene Aufenthaltstitel. Für Fachkräfte mit Hochschulabschluss gibt es unter anderem die Blaue Karte EU (Blue Card). Dafür muss der potenzielle neue Mitarbeiter ein Jahresbruttogehalt von mindestens 53.600 Euro bzw. 41.808 Euro in akademischen Mangelberufen nachweisen (Stand 2019) und einen anerkannten Hochschulabschluss haben. Facharbeiter aus Drittstaaten können aktuell unter der Voraussetzung beschäftigt werden, dass sie in einem Mangelberuf arbeiten und einen anerkannten Berufsabschluss nachweisen können.
Regelungen für den Arbeitsmarktzugang
Bei Fachkräften aus Drittstaaten prüft die Bundesagentur für Arbeit in der Regel die Beschäftigungsbedingungen und in bestimmten Fällen zusätzlich, ob deutsche Arbeitnehmer, Staatsangehörige aus EWR-Ländern, der Schweiz sowie rechtlich gleichgestellte Ausländer für die Stelle zur Verfügung stehen (Vorrangprüfung). Dieser Prozess wird beschleunigt, wenn der künftige Arbeitgeber bereits vor Beantragung des Visums die Zustimmung der Arbeitsagentur einholt. Für die besonders gefragten Berufsgruppen der Ärzte, IT-, Maschinenbau-, Fahrzeugbau- und Elektroingenieure, aber auch für Fachkräfte in Mangelberufen wurde die Vorrangprüfung bereits abgeschafft. Mit dem neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll sie grundsätzlich entfallen, um eine Zuwanderung für Personen mit anerkannter Ausbildung in alle Berufe zu erleichtern.
Wer Ausländer aus Drittstaaten einstellt, muss Zeit für Formalitäten investieren und sollte die neuen Mitarbeiter in den ersten Wochen gezielt unterstützen, damit sie sich hier heimisch fühlen. Ein Aufwand, der sich doppelt auszahlt: Denn die ausländischen Fachkräfte bringen nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern einen Fundus an Fähigkeiten und Erfahrungen mit und sorgen so zusätzlich für innovative Impulse und neue Möglichkeiten beispielsweise im Umgang mit neuen Kunden und Märkten.