„Wir befinden uns mitten in einem Experiment“: Agil auf schwäbisch
Vier Monate Lieferverzug reklamiert ein Auftraggeber. Bernd Kußmaul fällt aus allen Wolken, als er dieses Fax nach seinem Urlaub findet. Doch schnell besinnt sich der Geschäftsführer des Edelteilelieferanten auf seine größte Stärke: Anspruchsvolle Probleme auf ganz eigene Art zu lösen. Nur ein Jahr später hat sich die Organisation seines Betriebs grundlegend verändert.
Ganz gleich ob Unikate, Kleinserien oder Prototypen – die Bernd Kußmaul GmbH aus Weinstadt übernimmt Aufgaben, die in anderen Betrieben als unlösbar gelten. Ihre Auftraggeber kommen aus der Automobilindustrie, der Medizintechnologie, der Luftfahrt oder dem Maschinenbau. „Wir verstehen uns als Technologienetzwerk, das nach den besten Materialien, Technologien und Fertigungspartnern fahndet und die Zusammenarbeit der Partner anschließend koordiniert“, beschreibt der Firmenchef das Leistungsportfolio.
Das Unternehmen beschäftigt 40 Mitarbeiter. Die meisten haben eine mechanische Ausbildung, aber auch Schreiner, Textil- und Lederfachleute sind darunter. Der Chef selbst kommt aus dem Rennsport. Nach einer Ausbildung zum Maschinenschlosser und Techniker war er mehrere Jahre für den Einkauf der mechanischen Fahrzeug- und Motorenbauteile beim Fahrzeugveredler AMG verantwortlich. Zuverlässigkeit, Flexibilität, Teamarbeit – diese Werte haben seither für ihn höchste Priorität. Sie sind auch die Leitlinien, als er 1996 ein eigenes Unternehmen gründet. Schon damals kennt der technologieverrückte Netzwerker unzählige hervorragende Zulieferbetriebe. Er weiß ganz genau, wer was in bester Qualität herstellen kann. Mit diesem Wissen macht er sich als Teilelieferant schnell einen Namen.
Mit dem Wachstum des Betriebs organisiert Bernd Kußmaul seine Firma in Abteilungen. Das Unternehmen wird mehrfach zertifiziert. Jedes Audit bringt allerdings auch neue Regeln und Routinen mit sich. Irgendwann bleibt die Flexibilität auf der Strecke. Schließlich findet Bernd Kußmaul das besagte Schreiben in seinem Faxgerät. Es bestätigt ein Gefühl, das ihn schon länger umtreibt: „Wir waren unbeweglich und langsam geworden.“ Keiner seiner Teamleiter fühlt sich verantwortlich für die Terminverzögerung. Daraufhin analysiert er akribisch jedes einzelne Projekt, führt zusätzlich eine Kundenbefragung durch. „Ich hatte den Betrieb überreguliert“, so sein selbstkritisches Fazit. Er entscheidet sich dafür, grundlegend umzuorganisieren.
Statt externe Berater nach einem Konzept zu fragen, hört der Vollblutunternehmer lieber auf sein Bauchgefühl und schafft als erstes die Abteilungen ab. Stattdessen führt er eine Projektstruktur ein, bei der die Aufgabe und der Kunde im Vordergrund stehen. Abhängig von den benötigten Kompetenzen werden die Teams jetzt für jedes Projekt neu zusammengestellt. Die Mitarbeiter bieten sich entweder selbst für eine Aufgabenstellung an oder werden vom Projektleiter angefragt. So kann jeder ins Team geholt werden – auch der Chef. Die Projektleiter sind die Kommunikationspartner der Kunden, verantworten das Budget und steuern die interne Abstimmung im Team.
„Auch wenn das Ende der Reise noch offen ist, sehe ich mich nach rund einem Jahr bestätigt, dass die Richtung stimmt. Wir sind heute sehr flexibel, haben eine hohe Liefertreue und auch das Betriebsklima ist besser. Ich wollte zurück zu unseren Wurzeln: Sagen wir ein Teil in zwei Tagen zu, dann müssen wir auch liefern, und wenn wir dafür durch ganz Europa reisen. Dafür steht Kußmaul. Es braucht deshalb einen ganz besonderen Teamgeist und Strukturen, die auch wirklich zu uns passen. Das gelingt am besten, wenn wir uns zutrauen, den Wandel aus der Mitte des Unternehmens heraus zu gestalten, und unseren ganz eigenen Weg dabei gehen.“
In einem Kick-off-Meeting macht der Firmenchef seiner Belegschaft deutlich, wo die Schwachstellen liegen und erläutert die Notwendigkeit der Veränderungen. Einige ehemalige Teamleiter fungieren künftig als Coaches, andere verlassen das Unternehmen. Er führt monatliche Workshops ein, in denen die Teams komplexe Aufgabenstellungen im Wettbewerb miteinander lösen. Zusätzlich gibt es 14-tägig ein Projektcafé, in dem aktuelle und neue Projekte vorgestellt werden.
Einmal im Quartal informiert Bernd Kußmaul außerdem über wichtige Kennzahlen. Er will erreichen, dass die Mitarbeiter seine Entscheidungen nachvollziehen können und erkennen, wie wichtig jeder Einzelne zur Zielerreichung ist. Den Gesamtüberblick über sämtliche Projekte hat der Architekt Uwe Matzner, der sein Talent im Umgang mit Menschen und die Expertise im Planen und Steuern von technischen Prozessen mit einbringt. Er achtet auch auf die Einhaltung des organisatorischen Rahmens, der auf Vertrauen, Transparenz und Kommunikation beruht.
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vor 1 Tag