Betriebliches Eingliederungsmanagement an den Staatstheatern Stuttgart: „Die Menschen sind unser wichtigstes Gut“
Johannes Egerer ist Tenor im Opernchor der Stuttgarter Staatstheater – das Singen ist für ihn zurzeit allerdings nur eine geliebte Nebenbeschäftigung. Gemeinsam mit seiner Kollegin Martina Lutz, die außerdem die Kostümfärberei leitet, gestaltet er seit fast vier Jahren das Sozialreferat der renommierten Kultureinrichtung. Der ausgebildete Sänger ist zudem Vorsitzender des Personalrats. „Menschen sind die wertvollste Ressource in unserem Haus“, betont der Sozialreferent, der seinen aktuellen „Zweitberuf“ mit außerordentlich viel Herzblut ausübt.
Um Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Belegschaft langfristig zu erhalten, wurden 2009, auf Initiative des damaligen geschäftsführenden Intendanten Hans Tränkle, alle sozialen Maßnahmen des Kulturbetriebs in einem eigenen Sozialreferat gebündelt. Damit sollte unter anderem das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) professionalisiert und gleichzeitig ein Frühwarnsystem entwickelt werden, um Mitarbeiter, die von einer chronischen Krankheit oder Behinderung bedroht sind, rechtzeitig und bestmöglich zu unterstützen. Auch für den heutigen geschäftsführenden Intendanten Marc Oliver Hendriks stellt das Sozialreferat eine unverzichtbare Säule der Betriebskultur dar.
»Es ist wichtig, die Beschäftigten bei Krankheiten oder anderen beruflichen und sozialen Problemen nicht allein zu lassen.«
Neben ihren renommierten Künstlern beschäftigten die Staatstheater eine Vielzahl weiterer Berufsgruppen wie z.B. Architekten, Schlosser und Schreiner, Bühnenhandwerker, Ton- und Beleuchtungstechniker oder auch Schneider, Schuhmacher, Theatermaler und Kunstgewerbler. Damit sich der Vorhang auf den Schauspiel-, Opern- und Ballettbühnen eines der größten Drei-Sparten-Häuser der Welt jeden Abend rechtzeitig hebt, haben die 1.350 Mitarbeiter aus über 50 Nationen hohe Anforderungen physischer und psychischer Art zu bewältigen. Eine der wichtigsten Aufgaben des Sozialreferats besteht deshalb darin, die Beschäftigten bei Krankheiten oder anderen beruflichen und sozialen Problemen nicht allein zu lassen.
Für Mitarbeiter, die innerhalb von 12 Monaten 30 Tage oder mehr erkrankt waren, greifen die gesetzlichen Vorschriften zum BEM. Betroffene, die entsprechende Krankheitstage aufweisen, werden vom Sozialreferat zunächst individuell angeschrieben. Johannes Egerer und Martina Lutz legen Wert darauf, diese Briefe möglichst persönlich zu formulieren. „Wir wissen genau, dass die erste Kontaktaufnahme entscheidend dafür ist, ob die Kollegen Vertrauen zu uns gewinnen und sich auf das freiwillige Beratungsangebot einlassen“, betont Johannes Egerer. Beschäftigte, die sich daraufhin zurückmelden, beraten die Sozialreferenten in einem ausführlichen Vier-Augen-Gespräch dazu, welche konkreten Möglichkeiten es gibt, um ihren Wiedereinstieg ins Arbeitsleben zu erleichtern.
»Neben Rehabilitation beinhaltet das BEM-Konzept auch präventive Maßnahmen und Aktivitäten zur Gesundheitsförderung.«
Vertraulichkeit und Selbstbestimmung der Erkrankten sind bei der Beratung oberstes Gebot. Besonders schätzen die Betroffenen zudem, dass die Beratungsstelle mit einer Frau und einem Mann besetzt ist und damit immer gleichgeschlechtliche Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Wenn die Mitarbeiter anschließend weitere Unterstützung wünschen, werden Johannes Egerer und seine Kollegin in vielfältiger Form tätig: Sie helfen beispielsweise bei Reha-Anträgen, vermitteln bei Schwierigkeiten mit Vorgesetzten oder Kollegen und beraten auch bei familiären Sorgen. Bei Bedarf stellen sie außerdem Kontakte zu Fachberatungsstellen her und begleiten insbesondere ausländische Kollegen mit Sprachproblemen auch zu Ärzten oder Hilfseinrichtungen. Hier kommt den beiden Beratern zugute, dass sie zwischenzeitlich hervorragend vernetzt sind.
Neben der Rehabilitation beinhaltet das BEM-Konzept der Staatstheater auch präventive Maßnahmen und Aktivitäten zur Gesundheitsförderung. Von den vielfältigen Unterstützungsangeboten profitierte beispielsweise eine verletzte Tänzerin, deren Heilungschancen nicht besonders rosig aussahen. Mithilfe der BEM-Experten konnte sie Praktika im ganzen Haus machen, um herauszufinden, welche Tätigkeiten – außer dem Tanzen – ihr im Ernstfall auch noch Spaß machen könnten. Mittlerweile ist die Mitarbeiterin wieder gesund und als Tänzerin im Einsatz. In anderen Fällen genügte es bereits, die Sitzmöglichkeiten eines Kollegen zu verbessern, um seine Rückenprobleme zu beheben oder eine ergonomische Maus zur Verfügung zu stellen, damit die entzündeten Sehnenscheiden einer Mitarbeiterin endlich ausheilen konnten.
Aufgrund solcher Erfahrungen wurden zudem ergonomische Stühle für die Schneiderei, Stehhilfen für die Schlosserei und Rückenstützkissen für die Verwaltungsmitarbeiter angeschafft. Begleitet werden diese Maßnahmen durch das individuelle Training eines Physiotherapeuten und Gruppenangebote wie Pilates, Yoga und Qi Gong. Um psychischen Belastungen vorzubeugen, wird insbesondere die Führungsebene in Konfliktmanagement, Krisenintervention und Mediation umfassend geschult. Hier greifen die BEM-Instrumente und Maßnahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) ineinander, um für die Mitarbeiter eine optimale Wirkung zu erzielen. Für ihr vielfältiges und professionelles BEM-Konzept wurden die Staatstheater vom Kommunalverband für Jugend und Soziales (KVJS) ausgezeichnet.
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vor 4 Tagen