In Zeiten, in denen wirtschaftliche Prozesse immer komplexer werden, dient die Unternehmenskultur als zentraler Orientierungsrahmen – davon ist Prof. Dr. Marcel Hülsbeck überzeugt. Der akademische Direktor des Wittener Instituts für Familienunternehmen (WIFU) befasst sich in seiner Forschung unter anderem mit den Anforderungen der Wissensgesellschaft an neue Formen von Führung, Kooperation und Organisation. Im Gespräch mit ihm haben wir erfahren, dass Heldengeschichten in einem Unternehmen eine wichtige Rolle spielen und warum sich gerade junge Talente dafür außerordentlich interessieren.
Talente: Herr Prof. Dr. Hülsbeck, in der Diskussion über Transformationsprozesse wird die Unternehmenskultur als wichtiger Erfolgsfaktor gesehen. Können Sie den Begriff für uns definieren?
Prof. Dr. Marcel Hülsbeck: Unternehmenskultur ist das implizite Wissen darüber, wie in einer Firma gearbeitet wird, wie die Menschen miteinander umgehen, was die Gemeinschaft vom einzelnen Mitarbeiter erwartet. Sie lässt sich schwer an etwas Konkretem festmachen. Dazu gehören die Riten und Rituale, aber auch die Heldengeschichten, die man sich im oder über ein Unternehmen erzählt. Zum Beispiel wie der alte Seniorchef noch durch sein Unternehmen gegangen ist, überall das Licht ausgeschaltet und jeden Bleistift aufgehoben hat. Solche Geschichten werden weitererzählt und vermitteln wichtige Werte, wie etwa „Wir gehen hier sorgsam mit Rohstoffen um“.
Sind diese alten Geschichten heute tatsächlich noch relevant, zum Beispiel für Bewerber auf der Suche nach ihrem ersten Arbeitgeber?
Gut ausgebildete junge Leute können heute im Prinzip überall arbeiten. Sie fragen sich deshalb: Wo möchte ich überhaupt arbeiten? Welches Unternehmen passt zu mir? Geschichten bieten ihnen wichtige Anhaltspunkte, was in einem Unternehmen wirklich zählt. Oft vermitteln sie auch den Sinn. Was hat den Gründer angetrieben? Warum gibt es ein Unternehmen überhaupt? Solche Fragen interessieren die jungen Menschen sehr und sind für Mittelständler und Familienunternehmen leichter zu vermitteln als für eine Aktiengesellschaft.
Sie betonen die besondere Bedeutung von Unternehmenskultur gerade in unserer digitalen Wissensgesellschaft, warum?
Firmen müssen ständig und hoch flexibel auf Veränderungen reagieren: auf neue Technologien, das Verhalten ihrer Konkurrenten, die Wünsche ihrer Kunden etc. Das meiste, was in Organisationen passiert, lässt sich nicht mehr in feste Verhaltensweisen und Regeln packen. Eine starke Unternehmenskultur dient deshalb als wichtiger Orientierungsrahmen in einer immer komplexer werdenden Welt. Sie bietet den Führungskräften und den Mitarbeitern Anhaltspunkte, an denen sie ihr Handeln ausrichten können.
Beeinflusst die Kultur eines Unternehmens auch dessen ökonomischen Erfolg?
Aus ökonomischer Sicht ist das Ziel von Unternehmenskultur, Effizienz zu steigern, Kommunikationskosten zu senken, Fehlerquoten zu verringern und einfach besser zu werden. Weil sich eben nicht jeder Einzelfall regeln lässt. Auf der Basis einer gemeinsamen Kultur können Mitarbeiter im Sinne des Unternehmens handeln, ohne dass sie ständig rückfragen müssen. Gerade weil die Folgen von Entscheidungen oft nicht mehr absehbar sind, brauchen die Menschen einen sicheren Rahmen und das Gefühl, auch Fehler machen zu dürfen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der psychologischen Sicherheit.
Was wünschen sich Mitarbeiter und speziell die jungen Generationen heute von einem attraktiven Arbeitgeber und wie können kleinere und mittlere Unternehmen dem gerecht werden?
Es gibt drei Faktoren, die immer wieder genannt werden: Die Arbeit soll sinnstiftend sein – ein Unternehmen muss deutlich machen, welchen Beitrag es und seine Produkte für die Gesellschaft leisten. Weiterhin wollen die Menschen selbstbestimmt arbeiten und mitgestalten, was, wann und wo sie arbeiten. Beides lässt sich in KMU gut umsetzen und vermitteln. Außerdem legen insbesondere die Nachwuchskräfte heute Wert darauf, dass sie in einem Job ihre persönlichen Stärken und Talente einbringen können. Für Mittelständler kann das zukünftig bedeuten, dass sie individuelle Arbeitspakete schnüren müssen, um gefragte Fachkräfte für sich zu gewinnen. In der Regel können sie jedoch auch vielfältigere Aufgaben und Projekte innerhalb desselben Jobs anbieten als Großbetriebe, in denen oft sehr spezialisierte Stellen ausgeschrieben werden.
In welche Richtung sollten mittelständische Betriebe ihre Unternehmenskultur weiterentwickeln, um attraktiv zu bleiben? Welche Trends spielen eine Rolle?
Ich halte nichts davon, hektisch irgendwelchen Trends hinterherzujagen und alle zwei Jahre anderen Management-Gurus zu folgen. Trends können wichtige Anhaltspunkte sein für die gezielte Weiterentwicklung einer Organisation. Bei der Kulturfrage geht es aber vor allem um die Geschichten, die einem Betrieb etwas bedeuten und die er über sich erzählen will. Sie sind es, die seine besondere DNA vermitteln, und mit den neuen Medien können wir sie heute viel schneller, facettenreicher und interessanter erzählen als früher.