Künstliche Intelligenz (KI) macht Personalarbeit und die Arbeitswelt besser – dessen sind sich viele Personalverantwortliche sicher. Sie entlastet von Routinetätigkeiten und unterstützt dabei, die richtigen Mitarbeiter zu rekrutieren und sie individueller zu betreuen und zu fördern. Experten warnen jedoch auch vor Datenmissbrauch und Fehlern der lernenden Maschinen. Unbestritten ist dagegen, dass Personaler fundiertes Wissen zu maschinellem Lernen und den Möglichkeiten und Grenzen intelligenter Anwendungen brauchen. Denn nur so können sie seriös beurteilen, wo KI ihren Betrieben und Belegschaften wirklich nützt und auch, was nicht zur Firmenkultur und den jeweiligen Rahmenbedingungen passt.
Viele große Unternehmen haben bereits KI-basierte Recruitinglösungen im Einsatz und nutzen intelligente Programme auch für die Personalentwicklung und -bindung. Zu den Befürwortern und Pionieren der Künstlichen Intelligenz im Human-Resource-Management (HRM) gehören die Personalvorstände Stefan Ries von SAP und Norbert Janzen von IBM. In der Februarausgabe des Personalmagazins plädieren sie dafür, dass sich jeder Personalverantwortliche mit KI Beschäftigen und fundiertes Know-how dazu aneignen sollte. Die meisten Personaler kleinerer und mittelständischer Firmen (KMU) betrachten KI-Anwendungen dagegen noch mit großer Skepsis. Sie bezweifeln deren Nutzen und fragen sich, ob sie in ihren Betrieben überhaupt die dafür notwendige Datenbasis haben. Bleiben die Vorteile intelligenter Software also nur den Großen vorbehalten oder macht der Einsatz solcher Systeme auch für die Personalarbeit von Mittelständlern einen Sinn?
Intelligente Softwareprogramme sind Fachidioten
Die Antwort darauf beginnt mit einer Begriffsbestimmung: Was ist Künstliche Intelligenz überhaupt? Die Suche im Netz listet unzählige Definitionen auf – zusammengefasst beschreibt KI den Versuch, menschliches Lernen, Urteilen und Problemlösen in Form von Softwareprogrammen nachzubauen. Kennzeichnend für intelligente Systeme ist, dass sie große Datenmengen sehr schnell lesen, darin Muster erkennen und kategorisieren können. Anschließend sind sie imstande, daraus Hypothesen abzuleiten. Beispielsweise können intelligente Roboter eingehende Bewerbungen analysieren und daraus Kandidaten für die Vorstellungsgespräche empfehlen. Solche KI-Lösungen sind in der Lage, aus historischen Daten und Erfahrungen selbstständig dazuzulernen und so nach und nach ihre Aufgaben immer besser zu erfüllen. Diese Fähigkeit bezeichnet man als Maschinelles Lernen oder Deep Learning.
Die Softwareprogramme sollten dazu auch mit menschlichen Experten interagieren und deren Feedback berücksichtigen. Der Recruiting-Roboter, der beispielsweise mehrere Kandidaten für eine Stelle vorgeschlagen hat, kann die letztendliche Einstellungsentscheidung der Personalverantwortlichen bei künftigen Matching-Prozessen berücksichtigen und dadurch immer bessere Empfehlungen geben.
Die Fachwelt unterscheidet zwischen starker und schwacher KI. Letztere beschreibt Programme, die eine ganz spezielle Aufgabe haben und ausschließlich für diese trainiert wurden. Sie beherrschen es dann beispielsweise, ein Arbeitszeugnis zu erstellen, ein autonomes Auto zu fahren oder eben Bewerber auf eine Stellenbeschreibung zu matchen. Bei jeder anderen Aufgabe würden sie allerdings scheitern. Starke KI hingegen kann über verschiedene Systeme hinweg agieren, abstrahieren und selbstständig dazulernen – solche Anwendungen gibt es heute aber in der Praxis noch gar nicht.
Erste Ansätze von Künstlicher Intelligenz existieren schon seit den 50er-Jahren. Bereits damals versuchten Forscher nachzubauen, wie Menschen lernen. Aufgrund fehlender Rechenpower gelang ihnen dies allerdings lange Zeit nur mit mäßigem Erfolg. Seit einiger Zeit sind nun nicht nur die erforderliche Rechnerleistung, sondern außerdem enorme Speicherkapazitäten und die notwendigen Datenübertragungsraten vorhanden. KI hält deshalb gegenwärtig Einzug in immer mehr Prozesse. Im Personalwesen kommen intelligente Programme heute in fast allen Bereichen zum Einsatz.
KI übernimmt die Routinetätigkeiten beim Recruiting
Beim Recruiting unterstützen sie die Personalverantwortlichen dabei, passende Talente für eine offene Stelle oder ein Projekt zu finden, und schaffen es, den Bewerbungs- und Auswahlprozess für beide Seiten schneller und erfolgreicher zu machen. Digitale Kommunikationsassistenten, sogenannte Chatbots, übernehmen einen Teil der Interaktion mit den Bewerbern und überprüfen auf der Basis ihrer Algorithmen aus Bewerbungsunterlagen und Social-Media-Aktivitäten die Eignung der Kandidaten für eine Stelle. Darüber hinaus bieten sie den Bewerbern unaufgefordert auch andere im Unternehmen vakante Stellen an. Nicht selten schlagen die Roboter auch Jobs vor, auf die die Interessenten von sich aus gar nicht gekommen wären, und eröffnen ihnen dadurch unerwartete Perspektiven. Für das Unternehmen wiederum erhöhen sich so die Chancen auf eine Stellenbesetzung.
Auch die Mitarbeiterentwicklung wird durch intelligente Programme erleichtert
Wenn aus den Bewerbern Mitarbeiter geworden sind, unterstützen KI-Systeme auch dabei, die neuen Kollegen gezielt zu coachen und zu entwickeln. Einige große Firmen nutzen bereits KI-basierte Karriereassistenten, die jeden ihrer Mitarbeiter ganz individuell fördern und ihn auf der Basis seiner Rollen, Aufgaben und Interessen regelmäßig auf passende Weiterbildungsmöglichkeiten und persönliche Vernetzungsmöglichkeiten hinweisen. Hat ein Arbeitnehmer schon einen konkreten Karriereweg im Blick, können die KI-Systeme diesen simulieren und darauf aufbauend konkrete Lernempfehlungen aussprechen. Dazu greifen die Chatbots auf die Angebote interner Akademien zurück und werden künftig auch externe Lernangebote aus dem Netz einbeziehen können.
Karriere-Chatbots leisten einen Beitrag zur Bindung der Mitarbeiter
Gleichzeitig entstehen durch Künstliche Intelligenz auch neue Möglichkeiten, Mitarbeiter langfristig ans Unternehmen zu binden. Wurden HR-Maßnahmen bisher oft nach dem Gießkannenprinzip angeboten, ermöglichen KI-basierte Analysen heute, viel besser auf die individuellen Bedürfnisse der Beschäftigten einzugehen. Während sich der eine Mitarbeiter flexible Arbeitszeiten wünscht, ist seine Kollegin vielleicht mehr an einer Weiterbildung interessiert, und andere Teammitglieder brauchen Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge. Ein Karriere-Chatbot kann aus der Fülle der möglichen Personalleistungen blitzschnell das Richtige anbieten. Auf der Basis intelligenter Daten können sich auch die Führungskräfte besser weiterentwickeln und dadurch für zufriedene und loyale Mitarbeiter sorgen. Google hat diese Möglichkeit als erstes Unternehmen erkannt: In seiner Führungsstudie „Oxygen“ untersuchte das Unternehmen bereits 2008 anhand aller gesammelten Mitarbeiterfeedbacks, was eine gute Führungskraft in einem Technologieunternehmen ausmacht. Das Ergebnis war ein Katalog mit acht zentralen Führungseigenschaften, einem internen Trainingsprogramm und einer Sammlung repräsentativer Mitarbeiter-Statements, der fortan einen Orientierungsrahmen für eine gute Führungskultur bot.
People Analytics liefert wertvolle Erkenntnisse für die Unternehmensstrategie
Unter dem Schlagwort People Analytics wird diese Art der systematischen Analyse und Auswertung von Daten aus dem Personalwesen in Verbindung mit anderen Unternehmensdaten mithilfe von KI gegenwärtig lebhaft, aber auch kritisch diskutiert. Bei der täglichen Personalarbeit fallen vielfältige Informationen zum Verhalten, der Einstellung und der Kommunikation der Beschäftigten an, die in den Betrieben meist unstrukturiert und in vielen verschiedenen Formaten vorliegen. Neben den klassischen Personalstammdaten gehören dazu die typischen Personalkennzahlen, aber auch Informationen über die persönlichen Verhältnisse der Mitarbeiter, Ergebnisse von Befragungen oder Kommunikationsdaten wie E-Mails, Beiträge im Intranet oder in den sozialen Medien. Mit den Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz haben die Personalverantwortlichen heute die Chance, diese Daten sinnvoll zu strukturieren, Entwicklungen zu simulieren und daraus wertvolle Schlüsse zu ziehen. People Analytics macht die Personaler dadurch auch zu wichtigen strategischen Partnern ihrer Führungskräfte und der Geschäftsführungen.
Der Einsatz von Algorithmen und Künstlicher Intelligenz sowie der Umgang mit Daten birgt zweifelsohne große Potenziale. Dennoch ist People Analytics auch ein hochsensibles Thema, bei dem es um sehr persönliche Daten aus dem Arbeitsleben der Menschen geht. Besonders in Deutschland achten Gesetzgeber, Gewerkschaften und Betriebsräte deshalb sehr genau auf den Umgang mit solchen Informationen und ziehen harte Grenzen. Grundlage ist die aktuelle Datenschutzgrundverordnung, die beim Umgang mit personenbezogenen Daten die Zustimmung der Mitarbeiter oder ihrer Vertretung vorschreibt und die Datennutzung auf die vorgesehenen Zwecke begrenzt.
KI ist kein Spiel ohne Grenzen
KI-Systeme sollten nicht nur gesetzestreu, sondern auch transparent, gerecht und sicher arbeiten. Neben den gesetzlichen braucht es deshalb ethische Richtlinien, an denen die neuen Technologien gemessen werden. Diesbezüglich haben insbesondere die Mitarbeiter viele Vorbehalte – nicht wenige sorgen sich darüber, dass künftig ein Algorithmus selbstständig entscheidet, ob sie befördert werden oder mehr Gehalt bekommen. In einigen Firmen wurde deshalb bereits ein eigener Ethikkodex zu HR Analytics erarbeitet. Das Thema ist auch von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Die Bundesregierung hat eine Datenethikkommission eingesetzt, die bis zum Herbst 2019 Handlungsempfehlungen und Regulierungsmöglichkeiten zum Umgang mit Algorithmen, Künstlicher Intelligenz und digitalen Innovationen aufzeigen soll.
Auch KMU können von KI-Anwendungen profitieren
Werden KI und People Analytics auf der Grundlage seriöser Rahmenbedingungen angewendet, bieten sie die Chance, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem jeder Einzelne sein volles Potenzial ausschöpfen kann. Mithilfe der neuen Technologien können Personalverantwortliche die richtigen Stellhebel für ein effizientes und erfolgreiches Personalmanagement identifizieren, zielführende Maßnahmen ableiten und ihren strategischen Beitrag zum Unternehmenserfolg messbar machen. Um die vielfältigen Möglichkeiten ausschöpfen zu können, müssen sie ihr Profil jedoch um neue Kompetenzen erweitern. Sie brauchen nicht nur psychologische und betriebswirtschaftliche Kenntnisse, sondern auch ein grundlegendes Technologieverständnis, das Statistik- und Datenkompetenz mit einschließt.
Die Entwicklung von KI-Lösungen wird in den kommenden Jahren rasant fortschreiten und maßgeblich Einfluss auf das Personalmanagement nehmen. Die daraus resultierenden Chancen dürfen sich auch kleinere Unternehmen nicht entgehen lassen. Sie sollten sich deshalb ebenfalls Wissen und Praxiserfahrung zu den neuen Technologien aneignen, auch weil sie sonst im Wettbewerb um begehrte Fachkräfte irgendwann uneinholbar abgehängt werden. Gelegenheit dazu bieten beispielsweise Fachkongresse, auf denen die Pionierunternehmen ihre Konzepte präsentieren. Das bedeutet allerdings nicht, einfach nachzuahmen, was die großen Konzerne machen, denn vieles davon passt gar nicht zu den Rahmenbedingungen von KMU. Sie können stattdessen ihren ganz eigenen Weg finden – am besten über einen Einstieg in kleinen Schritten.
Dafür geeignet sind beispielsweise Mitarbeiterbefragungen, die durch ein intelligentes Programm ausgewertet werden. Lassen sich dadurch die Arbeitsbedingungen für die Belegschaft nachweislich verbessern, entsteht ein positives Klima für weitere Analysen. So gelingt es, das Thema nach und nach zu erschließen, und die verantwortlichen Personaler können bei künftigen Entscheidungen nicht nur auf ihr Bauchgefühl vertrauen, sondern auch auf eine objektive Faktenlage zählen. Das macht ihre Arbeit präziser, effizienter und dadurch erfolgreicher – und davon wiederum profitieren Unternehmen und Mitarbeiter gleichermaßen.