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„Warum wir mit dem Deutschland-Achter im Wildwasser nicht gewinnen können“

Klaus Dehner

Klaus Dehner

Klaus Dehner

Schon früh hat sich der Verhaltenswissenschaftler Dr. Klaus Dehner auf die biologischen Grundlagen menschlichen Verhaltens spezialisiert. Am Institut für BioLogik entwickelte er das Modell der Bindungsformel, bei der grundlegende Naturgesetze auf menschliches Verhalten übertragen werden. Als Prozessbegleiter und Coach gibt er sein Wissen an Firmen weiter. Dabei erlebt er regelmäßig, dass Unternehmen, wenn sich ihre Marktbedingungen ändern, mit der Optimierung bestehender Abläufe reagieren. Auf der Suche nach besseren Lösungen entdeckte er agile Formen der Zusammenarbeit und war sich schnell sicher: So kann es funktionieren. Heute begleitet Klaus Dehner Betriebe bei agilen Transformationsprozessen und sieht in der Selbstorganisation den Königsweg, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Im Gespräch mit ihm haben wir erfahren, dass Agilität viel mehr ist als Flexibilität und Geschwindigkeit und es vor allem auf die richtige Denkhaltung ankommt.

 

WRS: Herr Dr. Dehner, warum sind viele Firmen nicht in der Lage, auf die wachsende Komplexität in globalen Märkten angemessen zu reagieren?

Klaus Dehner: Viele Unternehmen haben tatsächlich Probleme, mit der zunehmenden Vernetzung und der rasanten Geschwindigkeit der Märkte umzugehen. Sie liefern zwar die beauftragten Leistungen, aber oft zeitverzögert und trotzdem nicht optimal passend zu den Wünschen ihrer Kunden. Folglich müssen sie aufwendig nachbessern, möglicherweise sogar Konventionalstrafen zahlen.

Vor allem die Mittelständler sind aber doch dafür bekannt, dass sie auf schwierige Rahmenbedingungen mit Innovationen antworten?

Das ist richtig und der schwäbische Tüftlergeist ist als innovativer Treiber des technischen Fortschritts der zentrale Erfolgsfaktor. Aber wir brauchen daneben mehr soziale Innovationen. Viele Firmen reagieren auf die aktuellen Entwicklungen fast reflexartig, indem sie ihre klassischen Instrumente optimieren und akribisch daran arbeiten, Prozesse effizienter und schlanker zu machen. Die Manager versuchen, besser zu planen und enger zu steuern. Doch die bewährten Managementmethoden geraten bei zunehmender Komplexität an ihre Grenzen. Denn diese ist eben gerade dadurch charakterisiert, dass sich vieles nicht voraussagen lässt.

Sind agile Methoden wie Scrum tatsächlich das Allheilmittel für die Herausforderungen unserer vernetzten und digitalisierten Welt?

Wer Agilität als reine Methode begreift und nur vereinzelte Maßnahmen umsetzt, indem er beispielsweise Scrum Master ausbildet, wird mit agilem Management nicht mehr erreichen als mit traditionellen Instrumenten. Der Begriff „Scrum“ stammt ursprünglich aus dem Rugby und bedeutet „Gedränge“. Im Zusammenhang mit Innovationen wurde er erstmals 1986 von zwei japanischen Wissenschaftlern verwendet. Sie wollten damit ausdrücken, dass sich alle Mitglieder einer Mannschaft in ständigem Austausch mit ihrem spezifischen Know-how in den kreativen Prozess einbringen müssen. Denn Innovationen lassen sich nicht als Staffellauf organisieren. Für Firmen bedeutet dies, ihre gesamte Organisation agil auszurichten, wenn sie ihre Wettbewerber hinter sich lassen wollen.

Wie kann dies erfolgreich gelingen?

Um die steigende Komplexität zu managen, müssen die Unternehmen ebenfalls komplexer werden. Das klingt zunächst paradox, führt aber tatsächlich dazu, dass sie im Wettbewerb bestehen können. Es geht darum, weniger zu planen, Selbstorganisation zu entwickeln und den Kunden individuell und flexibel bei der Auflösung seiner Engpässe zu unterstützen. Sinnbildlich ausgedrückt können wir mit dem Deutschland-Achter im gegenwärtigen Wildwasser nicht gewinnen. Weil Klippen kaum noch vorhersehbar sind, braucht es vielmehr das Raftingboot, das auch mit unerwarteten Strömungen umgehen kann. Dazu muss jedes einzelne Mannschaftsmitglied in der Lage und befugt sein, situativ zu entscheiden.

Stellen Sie deshalb die Bedeutung der richtigen Denkhaltung in den Mittelpunkt Ihrer Empfehlungen?

Ja, denn auf dem Weg zum agilen Unternehmen ist es vor allem notwendig, alte Muster abzulegen. Agilität bedingt eine völlig neue Form der Führung und Zusammenarbeit. Und dies erfordert eine veränderte Geisteshaltung – ein sogenanntes agiles Mindset. Dabei geht es um Transparenz, Vertrauen, Fehlerkultur und Selbstverantwortung. Agilität rüttelt an den Grundglaubenssätzen des Managements, die da heißen Planung, Zentralsteuerung, Kontrolle.

Was sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren auf dem Weg zum agilen Unternehmen?

Wenn die Unternehmensführung die Grundentscheidung getroffen hat, es anders zu machen, geht es als nächstes darum, Selbstorganisation aufzubauen. Dazu müssen Hierarchien abgeschafft und Teams in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Prozesse abzubilden. Eine Kultur der Selbstverantwortung erreicht man durch Ziele statt Anweisungen und durch Freiräume statt Kontrolle. Sämtliche Schritte müssen zudem konsequent vom Kunden her gedacht werden. Eine weitere Stufe besteht darin, agile Methoden zu lernen und auf das eigene Unternehmen anzuwenden. Hier bietet Scrum eine gute Auswahl. Schließlich gilt es, die Menschen langfristig zum agilen Arbeiten zu motivieren, indem gemeinsame Ziele vereinbart werden und Kundenanforderungen so formuliert sind, dass jedem klar wird, wie er einen sinnvollen Beitrag zu deren Erfüllung leisten kann.