Auch Führungsstile unterliegen dem Zeitgeist. Ändern sich die Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft, müssen sich auch die Führungskräfte in den Unternehmen darauf einstellen. Experte für solche Veränderungen ist Prof. Dr. Peter Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Sozial-, Arbeits-, Organisations und Wirtschaftspsychologie der Universität Regensburg. Seit mehr als 20 Jahren forscht er darüber, was erfolgreiche Führung ausmacht und wie sich die Anforderungen an Leitungsfunktionen im Laufe der Zeit gewandelt haben. Im Zeitalter der Digitalisierung plädiert der Wirtschaftspsychologe für eine humanistische Führungskultur, die sich an den Menschenrechten orientiert und den Respekt vor den Mitarbeitern in den Mittelpunkt stellt. Wir sprachen mit ihm darüber, warum Vorgesetzte psychologische Kenntnisse brauchen und eine menschenorientierte Führung gleichzeitig auch gut für Umsatz und Rendite ist.
WRS: Herr Prof. Dr. Fischer, in Studien wird seit Jahren belegt, dass Führungsverhalten und Mitarbeiterzufriedenheit eng zusammenhängen. Sie betonen darüber hinaus Auswirkungen von guter Führung auf den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen. Ist der Einfluss der Führungsebene tatsächlich so groß?
Peter Fischer: Absolut. Die Führungsforschung zeigt nachweislich, dass sich gute Führungsarbeit auf zahlreiche Unternehmenskennzahlen positiv auswirkt. In vielen Fällen steigen dadurch beispielsweise Umsatz, Gewinn und Marktanteile. In gut geführten Firmen verbessern sich außerdem nicht nur die Mitarbeiter-, sondern auch die Kundenzufriedenheit. Agieren die Führungskräfte geschickt, gehen zudem die Fehlerquoten zurück, und die Mitarbeiter machen in der Regel auch mehr Verbesserungsvorschläge. Eine engere Mitarbeiterbindung und dadurch bedingt auch eine geringere Fluktuationsrate sind weitere Auswirkungen. Es lohnt sich also zweifelsohne, in eine gute Führungskultur zu investieren.
Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auch immer wieder auf den sogenannten „individuellen Krankenstand“ von Führungskräften. Was ist damit gemeint?
Studien zeigen, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Führung und der Gesundheit der Beschäftigten besteht. So konnte beispielsweise eine im Jahr 2000 durchgeführte Studie der VW-Stifung belegen, dass Führungskräfte die Höhe des Krankenstands mitnehmen, wenn sie versetzt oder befördert werden. In den neuen Teams der Führungskräfte stellte sich nach einer gewissen Zeit ein ähnlicher Krankenstand ein wie in ihren früheren Gruppen oder Abteilungen.
In Zeiten der Digitalisierung, in denen Hierarchien abgebaut werden und Teams zunehmend selbstgesteuert arbeiten, ändern sich auch die Ansprüche an die Führungskräfte. Was muss eine Person heutzutage mitbringen, um erfolgreich zu führen?
Führung bedeutet vor allem, mit Menschen zu interagieren. Rund 80 Prozent der Führungsarbeit sind Kommunikation. Deshalb braucht es auch einen Kulturwandel von der fachlichen zur kompetenzorientierten Führung. Wir wissen schon lange, dass gute Fachleute nicht automatisch gute Führungskräfte sind. In der humanistischen Führungslehre plädieren wir ausdrücklich dafür, dass Führungspersonen über psychologische Grundkenntnisse verfügen sollten. Sie müssen einfach wissen, wie Denken, Emotionen, Motivation und Verhalten beim Menschen funktionieren.
Dieses Basiswissen könnte sich ja im Prinzip jeder aneignen. Gibt es auch persönliche Eigenschaften, ohne die gute Führung nicht klappen kann?
Die Grundlage jedes Führungserfolgs sind die vier Ms: Man muss Menschen mögen. In Zeiten des totalen Individualismus sollte man außerdem die Fähigkeit haben, sehr genau zu beobachten. Man muss gut zuhören, was die einzelnen Mitarbeiter brauchen, um gesund, motiviert und leistungsfähig zu sein. Der eine will vor allen Dingen Geld verdienen, um zufrieden zu sein, der nächste benötigt dazu regelmäßigen Kontakt und Austausch mit der Führungskraft. Ein Dritter wiederum motiviert sich darüber, möglichst viel selbst gestalten zu können. Empathie ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren guter Führung.
Eine zentrale Aussage humanistischer Führungsansätze lautet: „Menschlichkeit fördert Wirtschaftlichkeit“. Wie lässt sich dieser Zusammenhang psychologisch erklären?
Eine Führungskraft, die sich an humanistischen Werten orientiert, fungiert als Vorbild und setzt auf gegenseitiges Vertrauen. Sie muss nicht immer recht haben und kann Mitarbeiter auch mal an der langen Leine lassen. Sie versteht sich nicht nur als Kapitän, der die Richtung vorgibt, sondern auch als Coach und Mentor, der einen Raum für Wachstum und Entwicklung schafft. Dadurch vermittelt sie Sinn und eine soziale Identität. Und dies schafft wiederum beste Voraussetzungen dafür, dass sich die Mitarbeiter mit ihrer ganzen Leistungskraft für die Ziele des Unternehmens einsetzen. Durch gute Führung lassen sich Leistungsfaktoren wie Commitment oder Motivation um bis zu 20 Prozent steigern – das zahlt sich aus.